DAS DING, DAS KOMMT : Auf zwei Atome genau
Mit einer SILIZIUMKUGEL wollen Physiker der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Braunschweig die wichtigste Masseeinheit der Erde genauer bestimmen als jeder andere: das Kilogramm
Endlich ist er da: ein rund sechs Kilo schwerer Kristall aus Russland. Mit seiner Hilfe hoffen die Physiker der Braunschweiger Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) jetzt auf einen Sieg – im Rennen um die exakte Definition des Kilogramms.
Denn das aus geschmiedetem Platinschwamm hergestellte Kilogramme des Archives in Paris hat in 58 Jahren 430 Mikrogramm seiner Masse verloren. Außerdem ist so ein Messobjekt, das aus Vorsicht lieber im Tresor bleibt, ziemlich unpraktisch. Seit mehr als 20 Jahren wird deshalb in Braunschweig erforscht, wie es sich anders machen ließe.
Die Idee dabei: eine „extrem abstrakte“ Neudefinition – „für einen normalen Menschen kaum zu verstehen“, gibt Arnold Nicolaus, Mitarbeiter im „Avogadro-Projekt“ zu. Man legt den Wert einer physikalischen Fundamentalkonstante fest, in diesem Fall des Planck’schen Wirkungsquantums. Denn dessen Einheit ist m[2]s[-1]kg. Zusammen mit der Definition von Meter und Sekunde wird dann ein Schuh, pardon, Kilogramm daraus.
Damit sich die Situation aber wirklich verbessert, muss ein Verfahren zur Bestimmung von Masse mit einer Genauigkeit in der Größenordnung von 10[-8]entwickelt werden. Die Frage ist also, ob sich die auf mikroskopischen Größen basierende „extrem abstrakte“ Definition in der makroskopischen Welt überhaupt realisieren lässt. Das entsprechende Objekt müsste in Masse, Volumen und Atomeigenschaften so genau vermessbar sein wie nur möglich.
Aus dem rund zwei Millionen Euro teuren Kristall wollen die Physiker der PTB deshalb zwei Bälle aus reinem Silizium anfertigen lassen: Dessen Atome lassen sich besonders gut abzählen. Und je genauer die Physiker dabei sind, desto genauer ist dann die Masse definiert.
Auch so rund wie möglich muss die Kugel sein, wenn die Braunschweiger sich gegen die Konkurrenz durchsetzen wollen: Kurz vor Weihnachten haben kanadische Kollegen mit ihrem Projekt einer Watt-Waage ordentlich vorgelegt. Sie vergleichen mechanische mit elektrischer Leistung, um Planck-Konstante und Masse zu ermitteln: Mit ihrem Wissen wollen sie dann eine elektronische Waage bauen, mit der das Kilogramm exakt bestimmt werden kann.
Die Braunschweiger liegen aber gut im Rennen. Beim Zählen von Hunderten von Millionen Atomen liegen sie höchstens noch zwei daneben. Zwei! Aber auch das ist Wissenschaftlern natürlich zu viel. Noch runder wollen sie den Siliziumkristall schleifen, mindestens halbiert werden soll die Messungenauigkeit bis 2018. Dann soll über die neue Definition entschieden werden: auf der nächsten Generalkonferenz für Maß und Gewicht. MATT