DANIEL BAX ÜBER DIE BUNDESTAGSRESOLUTION FÜR EIN BESCHNEIDUNGSGESETZ : Lust an der Zwangsbekehrung
Zweifellos handelt es sich bei Beschneidungen von minderjährigen Jungen um einen gravierenden Eingriff in deren körperliche Unversehrtheit. Deswegen ist es auch richtig, wenn die Politik die Religionsfreiheit und das Sorgerecht der Eltern in dieser Frage sorgfältig gegen andere Rechtsgüter abwägt. Denn nicht alles, was von einem Teil seiner Bürger religiös begründet und von Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder gewollt wird, muss ein Staat auch tolerieren.
Es ist aber gut, dass sich nun eine breite Mehrheit im Bundestag dafür ausgesprochen hat, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen, wie sie bei Muslimen und Juden eine lange Tradition hat, möglichst rasch gesetzlich erlaubt wird. Deutschland hätte sich sonst tatsächlich zur „Komikernation“ gemacht, wie Angela Merkel gewarnt hat. Fragt sich nur, ob wirklich jemand gelacht hätte, wenn ausgerechnet Deutschland als einziges Land der Welt diese Sitte unter Strafe gestellt hätte.
Damit hat die Politik – gerade rechtzeitig zum Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan, der an diesem Freitag begonnen hat – den Rechts- und Religionsfrieden im Land wiederhergestellt. Denn viele Muslime und Juden waren verunsichert, seit das Kölner Landgericht im Juni in einem Urteil eine Beschneidung als Körperverletzung wertete, obwohl dieser Brauch hierzulande schon seit Jahr und Tag tausendfach praktiziert wird. Eine klare gesetzliche Regelung könnte künftig sicherstellen, dass sich dabei keine Kurpfuscher ans Werk machen dürfen.
Gut auch, dass Regierung und Opposition im Bundestag hier gemeinsam an einem Strang gezogen haben – nur die Linkspartei hat den Antrag von CDU, FDP und SPD rundherum abgelehnt, ein paar Abgeordnete aus allen Parteien haben sich zudem enthalten. Die große Mehrheit der Parlamentarier jedoch hat diese Resolution am Donnerstagnachmittag mit großer Mehrheit durchgewinkt. Bemerkenswert ist das, weil sie dabei eine Mehrheit der Bevölkerung gegen sich weiß.
Glaubt man aktuellen Umfragen, dann hätte es eine Mehrheit der Deutschen am liebsten gesehen, wenn diese Praxis rundweg verboten würde. Das ist nicht überraschend, wenn man die Debatten der letzten Jahre über den Islam und die Muslime betrachtet: sie alle handelten davon, wie die Mehrheitsgesellschaft mit Bräuchen umgeht, die ihr fremd sind. Jedes Mal wurde dabei deutlich, dass viele Deutsche mit zu viel Fremdheit ein Problem haben: Muslimische Frauen sollen keine Kopftücher und schon gar keine Burkas tragen, finden sie, und Muslime keine Moscheen bauen dürfen, schon gar nicht mit Minarett. Am besten sollte es hierzulande gar nicht so viele Muslime geben – das war in etwa die Essenz der Sarrazin-Debatte. Die Beschneidungsdebatte war da nur die logische Folge. Neu ist nur, dass damit erstmals ein Thema berührt wurde, das Juden wie Muslime gleichermaßen betrifft. Aber auch da findet die Toleranz der Mehrheit inzwischen, wie man sieht, schnell ein Ende. Denn Toleranz ist out.
Der pseudosäkulare Eifer, der sich in diesen Debatten Bahn bricht, trägt dabei nicht selten den Willen zur Zwangsbekehrung in sich. Es ist gut, dass sich die Politik jetzt bei dem sensiblen Thema Bescheidungen fast geschlossen gegen die Mehrheitsmeinung gestellt und für den Schutz der zwei größten religiösen Minderheiten eingesetzt hat. Denn es zeugt von ausgeprägter Selbstgerechtigkeit und einem schon historisch fragwürdigen Paternalismus, ihnen vorschreiben zu wollen, wie sie ihre Religion zu leben haben. Und es zeugt von Populismus, wenn manche Politiker solchen Stimmen nachgeben.
Für echte Religionskritiker gäbe es weit bessere Gelegenheiten, das deutsche Verhältnis von Staat und Religion infrage zu stellen als ausgerechnet bei diesem sensiblen Thema. Sie könnten sich ja mal eines der zahlreichen Privilegien vornehmen, mit denen die größten Religionsgemeinschaften, die christlichen Kirchen, noch immer ausgestattet sind, statt sich an Minderheiten schadlos zu halten. Den Sinn und Unsinn von Beschneidungen im Kindesalter zu diskutieren, das sollte man dagegen lieber kritischen Muslimen und Juden überlassen: Eine Reform dieser jahrhundertealten Bräuche kann nur von den Gläubigen selbst kommen und nicht von außen verordnet werden.
Inland SEITE 4