DACHGESCHOSSAUSBAU : Ruhig schlafen
Meine Nächte sind jetzt so sicher wie die von Angela Merkel. Wenn es dunkel wird, beobachten Wachleute, was in dem Haus, in dem ich wohne, passiert. Auf dem Dach ist eine Videokamera angebaut. Dafür haben die Eigentümer des Objekts im Gentrifizierungskiez Helmholtzplatz gesorgt. Wir, die Mieter, sind überaus dankbar für so viel Fürsorglichkeit.
Seit zwei Jahren lassen die jungen Besitzer – ein Polospieler und ein Architekt – das Dachgeschoss ausbauen. Seit zwei Jahren werden wir jeden Morgen sanft vom Klang des Presslufthammers geweckt. Tagsüber werden wir mit frischem Staub versorgt und von Bauarbeitern angeknarzt. Einmal wurden die Männer von der Polizei abgeholt, die Eigentümer hatten wohl vergessen, sie ordnungsgemäß anzumelden. Manchmal fallen Steine vom Dach. Weniger gefährlich ist, dass es bei mir von oben durchregnet. Wir haben Baugerüste mit Leitern direkt von unseren Fenstern, die Haustüren stehen sperrangelweit offen.
Als wir im Urlaub waren, haben die Bauherren die Schornsteine abreißen lassen, die mit unseren Gasetagenheizungen verbunden sind. Merkt keiner, haben die sicher gedacht, ist ja Sommer. Haben wir trotzdem gemerkt. Wir brauchen auch Gas, um zu kochen und um Wasser warm zu machen. Der Schornsteinfeger hat im Haus Zettel angeklebt, um uns zu warnen: „Lebensgefahr“.
Jetzt wollen die Eigentümer dicke Abwasserrohre vom Dach nach unten in den Keller legen – mitten durch unsere Wohnzimmer. Und durch unsere Küchen, dazu müssen die Wände aufgerissen werden.
Aber unsere Nächte sind sicher. Dennoch bitten uns die Eigentümer, ihnen sofort mitzuteilen, wenn uns fremde Personen auffallen, „für deren Aufenthalt es im Hause keine Begründung gibt“. Machen wir doch. Gerne sogar.
SIMONE SCHMOLLACK