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Cream of CrimePerlen im Geschwätz

■ Jerry Osters New York: „Sturz ins Dunkel“

In New York fällt ein Mann vom Hochhaus. Er hat zehntausend Dollar in der Tasche und war, so stellt sich heraus, ein rechter Schmierlapp – Vergewaltiger, Erpresser und Biedermann. Niemand weint dem Schmutzel eine Träne nach, und niemand, schon gar nicht die notorisch überlastete Polizei, würde sich für diesen Zwischenfall interessieren. Wenn nicht einem Reporter ein kleines Detail aufgefallen wäre: Der Abflug von Chip Doyle, so hieß der Schmuddelvideokünstler, hat in der Wohnung einer gewissen Sharon Douglas begonnen, und die war vor zehn Jahren das Opfer eines medial breit ausgewalzten Vergewaltigungsfalles. Der Reporter beginnt zu recherchieren.

Wer die New-York-Romane von Jerry Oster kennt, dem fällt auf, daß diese Geschichte einen für seine Verhältnisse einfachen Plot hat. Hier spielen keine weißen Ritter mit, keine leprösen Staatsanwältinnen, keine Bürgermeister, die eigenhändig Obdachlose anzünden – oder sonstige Monstrositäten aus der irren Stadt, die seine Romane früher bevölkert hatten. Thrill und Spannung von „Sturz ins Dunkel“ entstehen auch weniger durch originelle Handlungsdrehs. Es ist bald klar, wer Mister Doyle aus dem Fenster geschubst hat und warum. Aber daß Oster aus der wenig überraschenden Motivlage der Täterin ein überraschendes Motiv für den Reporter ableitet, den „Fall“ aufklären zu wollen, das kann man so nicht erwarten.

Über den ganz alltäglichen Wahnsinn sind schon genug Bücher geschrieben worden. Für Oster scheinen sich die Überraschungen mittlerweile eher im Innenleben der Menschen abzuspielen. Wobei zwangsläufig die Frage aufs Tapet kommt, was man – ohne ideologische Brachialrezepte – gegen den täglichen Irrwitz tun kann. Auch wenn es, wie hier, am Ende nichts nützt. Hatte Oster in seinen bisherigen Romanen New York City in ein Patchwork aus Stimmen, Sounds und Geräuschen zerlegt, konzentriert er sich hier auf Dialoge und Monologe, in denen wichtige Informationen wie kleine Perlen in einem Wust von Geschwätz und Geplapper versteckt sind. Die Leute reden pausenlos miteinander, aneinander vorbei und vor sich hin. Selbst die Blueskassetten, die der Reporter im Auto hört, hat er sich „dialogisch“ zusammengestellt, um so abgedrehte Dinge rauszukriegen wie zum Beispiel, wer mehr den „Blues“ hat: Muddy Waters oder Howlin' Wolf. Aber als es dann wirklich auf die Macht der Worte ankommt, fliegt er böse und buchstäblich auf die Schnauze.

„Sturz ins Dunkel“ hat keinen amerikanischen Verlag gefunden. Deswegen kann man sich das Original mit dem Titel „Nightfall“ im Internet unter www.geocities.com/SoHo/ Lofts/7911/Whennite.htm anschauen. Vermutlich galt es für den amerikanischen Markt als zu verwirrend, zu „künstlerisch“. Das Buch ist zwar ein klassischer Kriminalroman, aber einer, dessen eine Hauptfigur die Sprache ist. Wenn amerikanische Verlage das nicht mehr akzeptieren, dann ist „Sturz ins Dunkel“ um so mehr ein giftiger Kommentar zur derzeitigen Kommunikationssituation, in der man über alles reden soll und will, aber nichts zu sagen hat. Auch daraus entsteht Gewalt. Das gilt beileibe nicht nur für die USA. Thomas Wörtche

Jerry Oster: „Sturz ins Dunkel“. Rowohlt Verlag (rororo), Reinbek 1998, 251 S., 12,90 DM

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