Corona-Politik und Kritik : Impfen statt schimpfen
Ist Deutschland, seine Regierung und speziell Jens Spahn unfähig, die Bürger zu impfen? Quatsch: Von Unfähigkeit kann keine Rede sein.
Von UDO KNAPP
„Deutschland scheitert daran, seine Bevölkerung schnell gegen Covid-19 zu impfen. Was Bund und Länder aufführen, (…) zeigt den Abstieg eines Staates, der sich zu lange als Musterschüler sah.“ Der Spiegel
Mittwoch letzter Woche habe ich im Impfzentrum Bergen auf Rügen morgens um neun meine erste Impfung mit BioNTech erhalten. Nach den Priorisierungsregeln gehöre ich zu den Vorbelasteten der zweiten Gruppe. Den Impftermin habe ich eine Woche vorher nach einer Wartezeit von einer Stunde bei einer zentralen Hotline Mecklenburg-Vorpommerns erhalten. Ich wurde aufgefordert, pünktlich zu erscheinen, mein Impfbuch, die vorgeschriebene Bescheinigung zu meinen Vorerkrankungen und meinen Personalausweis mitzubringen. Im Impfzentrum wurde ich freundlich begrüßt und auf einer Liste abgehakt. Wartezeit gab es nicht. Ein Guide geleitete mich durchs Haus, meine Papiere wurden überprüft, schon saß ich bei meiner Impfärztin. Nach einer kurzen Ausruhzeit war die Impferei für mich erledigt. In gut drei Wochen bekomme ich den zweiten Shot.
An diesem Tag wurden außer mir noch weit mehr als 200 andere Rüganer geimpft. In ganz Deutschland sind, Stand vom vergangenen Sonntag, übrigens schon sieben Millionen geimpft worden.
In kürzester Zeit wurde eine ganze Impf-Infrastruktur aufgebaut
Das Impfzentrum in Bergen wird vom Deutschen Roten Kreuz betrieben, dort arbeiten in Schichten bis zu 50 festangestellte Leute. Die Impfärzte stellt das lokale Sana Krankenhaus. Das nächste, weitaus größere Impfzentrum befindet sich in Stralsund, dort wird schon seit zwei Wochen ohne großes Aufsehen geimpft. Außerdem sind mobile Impfteams im Einsatz. Im Landkreis Vorpommern-Rügen sind inzwischen alle Bewohner und die meisten Mitarbeiter von Alten- und Pflegeeinrichtungen geimpft.
Lebe ich in einer anderen Republik? Nein. Dieses Beispiel aus Mecklenburg-Vorpommern ist keine Ausnahme. Die Impfzentren überall in der Republik wurden in kürzester Zeit eingerichtet, Personal und Sachkosten werden aus Steuermitteln unkompliziert finanziert. Den Impfstoff gibt es für alle Bürger kostenlos. Deren Beiträge zur Krankenversicherung werden für die Corona-Kosten nicht erhöht. Forschung, Entwicklung und Produktion der Impfstoffe werden vom Bund und der EU in großem Stil finanziert. Die anfangs etwas schwierige Anmeldung zum Impfen hat sich eingespielt. Erstaunlich, wie viele Enkel oder Nachbarn den Alten und anderen beim Anmelden helfen. Das Impfen wird als gemeinsame, solidarische Anstrengung aller Bürger gelebt. Die Verwaltungen aller Ebenen und das Gesundheitssystem liefern für diesen Konsens unspektakulär ein stabil funktionierendes Rückgrat.
Sicher wäre es wünschenswert, dass das Impfen schneller vorankommt. Aber der Impfstoff, den es vor wenigen Monaten noch gar nicht gab, kann in Produktionsstätten, die gerade erst aufgebaut werden, vorerst nicht schneller produziert werden. Die von der Bundesregierung vorgegebene Priorisierung beim Impfablauf basiert auf einem zutiefst humanen Gedanken. Diejenigen, für die Covid am gefährlichsten ist, werden zuerst geimpft, und dann folgt Schritt für Schritt das Impfen für alle anderen. Sicherheit, Klarheit und Transparenz im Vorgehen vor Schnelligkeit – das ist die Covid-Strategie der Bundesregierung. Das gilt auch für die Impfstoffe. Beunruhigende Nebenwirkungen bei einem Impfstoff haben zu Recht zu einem vorübergehenden Stopp seines Einsatzes geführt.
Jens Spahn soll als Bauernopfer öffentlich hingerichtet werden
Wenn es beim vorgesehenen Impfen in den Impfzentren und bei der bis jetzt vorgesehenen Verteilung der Impfstoffe in der EU bleibt, dann wird das Impfen noch mindestens ein halbes Jahr brauchen, bis die sogenannte Herdenimmunität erreicht ist. In dieser Zeit braucht es in der Dritten Welle für alle – Geimpfte und Ungeimpfte – einen harten Lockdown. Nur so kann verhindert werden, dass die Zahlen der Sterbenden in jetzt allen Altersgruppen zumindest nicht noch einmal explodieren. Das ist zu ertragen.
Diese Corona-Politik ist bei der Bundesregierung in den richtigen Händen. Gesundheitsmister Spahn, gut beraten und begleitet von Lothar Wieler, dem Chef des Robert Koch-Institutes, und Ausnahmepersönlichkeiten wie Karl Lauterbach (SPD) setzen deren Leitplanken. Von deutscher Unfähigkeit kann keine Rede sein. Von maßloser Besserwisserei, vom Gebrauch der Covid-Krise fürs eigene politische Geschäft, von demokratiefeindlicher, gewaltbereiter Randale und prinzipienlosem, skandalisierendem Regierungsbashing dagegen sehr wohl.
Zwei Beispiele: Jens Spahn, als offen schwuler Minister in der CDU ohnehin schräg beäugt, hat den schwersten Job in der Pandemie. Er soll jetzt als Bauernopfer für die Unrast vieler in der Corona-Krise öffentlich hingerichtet werden. Wirkliche Fehler sind ihm kaum nachzuweisen. Spahn hat in den letzten Tagen immer wieder, gut begründet, einen harten Lockdown für das Einhegen der dritten Welle verlangt. Es waren die Ministerpräsidenten, die trotz seiner Warnungen Lockerungen zugelassen haben, die irrational sind und zu höheren Infektionszahlen geführt haben. Und warum, bitteschön, sollen sich Spahn und sein Ehemann keine Villa für vier Millionen in Dahlem kaufen?
Den Hausärzten wird eine Verantwortung zugeschoben, an der sie nur scheitern können
Zweitens: Das vielbeschworene Hausärzte-Impfen zur Beschleunigung gefährdet das Erreichen der Herdenimmunität. Den Hausärzten wird eine Verantwortung zugeschoben, an der sie nur scheitern können. Niemand kann kontrollieren, was sich in ihren Praxen abspielt. Die staatliche Impf-Kontrolle und die fachliche Evaluation des Impfprozesses in den Impfzentren dagegen stabilisieren das Vertrauen der Bürger in den Impfprozess und die Covid-Politik insgesamt.
In einer Ausnahmesituation wie der Corona-Pandemie kann eine Regierung in einer offenen Demokratie mit ihrer skandalisierenden Öffentlichkeitskultur meistens alles nur falsch machen. Das Gemecker aber muss die Regierung nicht kümmern, Lockdown Nummer drei und ein gut organisiertes Impfen werden akzeptiert, und das wird Wirkung zeigen.
UDO KNAPP ist Publizist. Er lebt in Sassnitz und Berlin.