"Coolness"-Tagung in Berlin: Da bleib ich kühl, kein Gefühl
Der Held der stoischen Philosophie ging selbst über den Tod des eigenen Kindes achselzuckend hinweg. "Apatheia - Besonnenheit - Coolness" erkundete das Pathos der Kälte.
Wie kühl hätten wir uns gern? Oder wie cool? "Apatheia - Besonnenheit - Coolness" buchstabierte eine vom Einstein-Forum und der Deutschen Kinemathek gemeinsam veranstaltete und bestens besuchte Tagung die Ausgangsfrage. "Apatheia" hieß in der antiken Stoa, wie Rüdiger Zill in seinem historischen Durchgang von Plato bis Bogart ausführte, jene philosophische Form höchster Affektbeherrschung, dank derer einem das Treiben der Welt sowie die Triebe des eigenen Körpers mehr oder minder nichts mehr bedeuten. Noch über den Tod seines Kindes geht der Held der stoischen Philosophie achselzuckend hinweg.
So hätte der Stoiker über die Spiegelneurone nur kühl gelächelt. Die jüngsten bildgebenden Verfahren mit ihren hübschen Wärmefleckgrafiken zeigen: Unser Hirn ist, wenn wir nur sehen, was andere tun, justament da aktiviert, wo es dies wäre, täten wir das, was der andere tut, selbst. Also fühlen wir, was der andere fühlt, mit. Weil sich die Geisteswissenschaftler seit ein paar Jahren wie die Kinder freuen, wenn ihnen die Naturwissenschaftler bestätigen, was sie selbst schon lange viel besser wissen, laden sie sich zu Konferenzen wie dieser regelmäßig einen Hirnforscher ein. Michael Huber, der einen grundvernünftigen Eindruck machte, hatte nicht nur die Spiegelneurone, sondern auch das schöne Wort Alexithymie im Gepäck, das die Unfähigkeit mancher Menschen beschreibt, die Gefühle ihres Gegenübers zu erkennen. Alexithymiker haben, wenig verkürzend gesagt, ein Spiegelneuroneproblem und fühlen, was der andere fühlt, leider nicht mit.
Der nach Huber vortragende Literaturwissenschaftler Helmut Lethen hat in seiner zum Klassiker avancierten Studie "Verhaltenslehren der Kälte" aus dem Jahr 1994 gezeigt, was es heißt, aus der Kälte eine Tugend zu machen und aus der Apatheia das Pathos der heroischen Existenz. In der Metapher der Kälte trafen sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts allerlei Ernüchterungsdiagnosen der Moderne. Der Mensch in transzendentaler Obdachlosigkeit (Georg Lukács), der Mensch im eisernen Gehäuse der Hörigkeit (Max Weber), der Mensch als aus der warmen Gemeinschaft in die kalte Gesellschaft gestoßenes Individuum (Ferdinand Tönnies). Lethens Hauptgewährsmann, der Philosoph Helmuth Plessner, machte daraus, die Kältediagnosen positiv umwertend, den Menschen als Wesen, das der Schonung durch Distanz und Künstlichkeit bedarf. Im Ergebnis changiert das zwischen raffiniert-souveränen Selbstverhältnissen und der protofaschistischen Verachtung für Humanismus und Gefühlsüberschwang.
Direkter als einem lieb sein dürfte schlossen sich die Vorträge der Soziologin Eva Illouz und des Historikers Peter Stearns an Lethens Präfaschismus-Diagnosen an. Beiden ging es um die amerikanische Kultur des "emotional cool" und damit um die im 20. Jahrhundert entwickelten Formen, Affekt und Affektbeherrschung zu balancieren. Illouz, die zuletzt mit einer Studie über die Liebe in Zeiten des Kapitalismus für Aufsehen sorgte, hat sich diesmal ins Herz des amerikanischen Unternehmertums begeben. Sie hat Ratgeber studiert, die amerikanische Psychologen in den fünfziger Jahren verfassten, und zwar speziell als Anleitungen fürs Selbstmanagement von modernen Mitarbeitern und Firmenchefs. Was in diesen als Ratgeber getarnten Gefühlsdrillbroschüren regiert, ist die selbst schon fast hysterische Angst vor der Entgleisung oder dem Zusammenbruch der Kommunikation. Im Interesse der Firma sowie des eigenen Fortkommens hat der Mensch in der Arbeitswelt sich zusammenzunehmen. Angst, Wut, Antipathien gehören verborgen. Macht zeigt man gefühlsdialektisch gerade dadurch, dass man auf Demütigungen aller Art nicht mit Wutausbrüchen reagiert. Sondern mit einem freundlichen Lächeln weitermacht, allezeit die Fähigkeit zur Empathie demonstriert und damit die eigenen Karrierechancen aufrechterhält.
Effizienter nämlich ists, die Pfeile und Schleudern des Berufsgeschicks zu erdulden, und darum gilt es, den Horror vor selbstverschuldeten Reibungsverlusten beizeiten zu internalisieren. Wie sehr der "emotional cool" dem Personal heutiger Arbeitswelten in Fleisch und Blut übergegangen ist, demonstrierte Illouz in Auszügen aus Interviews, die sie mit amerikanischen Angestellten führte. Nichts macht diese offenbar wütender als die Vorstellung, dass jemand sich im beruflichen Alltag emotional gehen lässt.
Nur bestätigen konnte Peter Stearns die Diagnosen von Eva Illouz. Im Grunde gelte der Imperativ der emotionalen Beherrschtheit längst für die amerikanische Gesellschaft als ganze. In erster Linie wird dabei das Wertesystem der männlichen weißen Mittelklasse generalisiert, mit allen Konsequenzen. Weniger ein grundsätzlicher Widerspruch als die kontrollierte und kontrollierbare Ausnahme sind dann manche afro- und hispanoamerikanischen Subkulturen oder auch abweichende Gefühlsdemonstrationen des Fernsehens, von Oprah Winfrey bis Jerry Springer. Aus dem Publikum fragte jemand, wie Stearns selbst, ein freundlicher älterer Herr, zum "emotional cool" stehe. Er beklage, erklärte Stearns, die erstickende Wirkung dieses Regimes der Unaufgeregtheit. Sich selbst erkenne er darin aber unheimlicherweise ganz und gar wieder. Er hätte sich gerne weniger kühl. Da sei aber, so groß ist die Macht der Erziehung, nichts zu wollen.
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