Comics als Literatur: Zu viel Bild schadet der Bildung
Lange galten Comics als Schmuddelkinder der Jugendliteratur, als leichte Kost und jugendgefährdend. Inzwischen gewinnen sie Preise bei der Frankfurter Buchmesse.
Schon die Auswahlliste zeigte eine deutliche Präferenz der Jury für Bildgeschichten. Dass jedoch sowohl im Kinder- als auch im Jugendbuch der Preis an Comics ging, überraschte auch Kenner der Szene. Émile Bravo und Jean Regnaud gewannen mit "Meine Mutter ist in Amerika und hat Buffalo Bill getroffen". Als bestes Jugendbuch zeichnete die Frankfurter Buchmesse Nadia Buddes "Such dir was aus, aber beeil dich" aus.
Kinder- und Jugendliteratur sowie Comicszene gehörten bislang zwei völlig verschiedenen Lagern an. Lange war diese Trennlinie ein ungeschriebenes Gesetz. In der Schmutz-und Schund-Debatte der 50er und 60er Jahre galten die an Kiosken verkauften Heftchen als leichte Kost oder gar als jugendgefährdend. Ende der 60er Jahre entwickelten sich Untergrund-Comix, angeführt von Leuten wie Robert Crumb. Sie feierten ihren Trashcharakter. Es entstand ein mit Trotz vermischtes Selbstbewusstsein, aus dem in den 80er und 90er Jahren eine neue, eigene Qualität erwuchs. Der Autorencomic, Artcomic oder Kunstcomic war geboren.
In den 90er Jahren war man noch auf der Suche nach einem Begriff für den anspruchsvollen Comic. Heute hat sich Graphic Novel als Label für vielschichtig erzählende Comics durchgesetzt. Er stammt vom amerikanischen Comiczeichner Will Eisner, der seine grafischen Shortstorys "A Contract with God" so vermarktete. Inzwischen dient er gerade den deutschen Verlagen dazu, Comics mit gleichermaßen literarischer wie grafischer Qualität zu bewerben.
Meistens lassen sich Graphic Novels in ihrer psychologischen Durchgestaltung mit Romanen vergleichen. Dennoch bleibt der Begriff schwammig. Seine Offenheit hat allerdings den Vorteil, dass man ihn für sämtliche den Heftchen entwachsene grafische Literatur verwenden kann.
Wie es um die Qualität eines als Graphic Novel bezeichneten Bandes tatsächlich steht, muss jeweils geprüft werden - und die Feuilletons reagieren darauf mit einem erweiterten Rezensionsangebot. Überraschend, denn zugleich verschwinden Kinder- und Jugendliteraturkritiken zunehmend aus den Kulturteilen. Dabei lässt sich der Einfluss des Comics auf die Kinderliteratur seit etwa 40 Jahren beobachten. Was mit der Übernahme von Comicelementen wie Sprechblasen, Speedlines und Einzelbildreihen ins Bilderbuch begann, hat sich zur kompletten Übernahme ausgewachsen: Längst finden sich Comics als Hardcoverausgaben im Sortiment von Kinderbuchverlagen.
Dass hier zwischen aufgemotzten Mittelmäßigkeiten auch Qualität zu finden ist, darauf scheinen die Juroren des Deutschen Jugendliteraturpreises in diesem Jahr die Öffentlichkeit aufmerksam machen zu wollen: In der Kategorie Kinderbuch erhielten die Franzosen Bravo und Regnaud die Auszeichnung für ihren Comic "Meine Mutter ist in Amerika und hat Buffalo Bill getroffen".
Als bestes Jugendbuch wurde Nadia Buddes "Such dir was aus, aber beeil dich" geehrt. Budde, die schon zum zweiten Mal den Deutschen Jugendliteraturpreis erhielt, hatte für ihr Kindheitserinnerungspotpouri in diesem Jahr bereits beim Erlanger Comic-Salon den Max-und-Moritz-Preis für den besten Kindercomic bekommen. Dieses Zusammentreffen von Comic- und Buchpreis ist eine Rarität und erzählt viel über die ausfransenden Genregrenzen.
Als die 70-jährige Jugendliteraturlegende Mirjam Pressler, die für ihr Gesamtwerk mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises ausgezeichnet wurde, in ihrer Dankesrede auf die Wichtigkeit der Unterscheidung von Trivial- und Hochkultur bestand, klang das wie ein kritischer Kommentar zu den Juryentscheidungen: "Jedes gelesene triviale Buch ist ein nicht gelesenes literarisches Buch!", argumentierte sie. Und gab eine Erklärung dafür, warum die Zahl der Neuerscheinungen im Kinder- und Jugendliteraturbereich so immens gestiegen ist: "Heute erscheint in Buchform, was früher am Kiosk erkennbar als Trivialliteratur als Heftchen angeboten wurde!"
Klar, die Graphic Novel hat sich in Qualität und Umfang längst von ihren Ahnen emanzipiert. Dennoch ist nicht alles, was sich unter diesem Label und zwischen zwei Hardcover-Deckel gepresst verbirgt, große Literatur. Was allerdings in gleichem Maße für die Kinder- und Jugendliteratur gilt. Auffällig ist etwa, dass die Jugendlichen, die eine eigene Jury bilden, für ihren Jugendbuchpreis nie Comics nominieren. In diesem Jahr ging ihr Preis an Suzanne Collins' Thriller "Die Tribute von Panem. Tödliche Spiele", der um die Frage kreist, wie abhängig der Mensch in der Mediengesellschaft von seinem Bild in der Öffentlichkeit ist. Kein Roman, der durch seine literarische Qualität besticht, wohl aber zeigt, welche Fragen für die Jugendlichen heute die wirklich wichtigen sind.
Vielleicht liegt die Abwesenheit speziell von Comics aber auch daran, dass sie in den von Erwachsenen betreuten Leseclubs gar nicht auftauchen. Schwer zu sagen - Journalisten sind nicht zugelassen.
Lehrer scheinen nach wie vor eine große Abneigung gegen Comics zu verspüren: Zu viel Bild schadet der Bildung. Der abnehmende Bildanteil in der Lektüre gilt als Indiz für die zunehmende Lesekompetenz eines Schülers. Comics lassen sich in diesem Schema schlecht unterbringen. So schrieb eine Lehrerin an eine Schülerin, die ihr einen Comic gezeichnet hatte: "Vielen Dank. Liest du gerne Comics? Ich lese viel lieber ein richtiges Buch!" Zum Glück gibt es Comics jetzt auch als richtige Bücher, so dass sie Literaturpreise und damit eine größere Aufmerksamkeit bekommen, jetzt auch im Segment der Kinder- und Jugendliteratur.
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