Clubschließungen, Drum&Bass etc.: Sportsleute unter sich
Big in Berlin tonight: Schöner clubben und ewig Abschied feiern
Es war früher ein großer Spaß, und es gehörte mit zum Geschäft: das Klappern und Klagen über den beinharten Verdrängungswettbewerb im Nachtleben, besonders in Mitte. Fand man hier doch immer ein Eckchen, wo die Freunde rumstanden und keine Leute, die neu und big in Berlin die Oranienburger runtermarschierten. Inzwischen aber scheint es wirklich brenzlig zu werden.
Die Clubschließungen und Neueröffnungen halten sich zwar wie die Jahre zuvor die Waage. Doch Läden wie das Kunst und Technik, die Dienstagsbar in der Bergstraße oder das Schmalzwald werden momentan vor allem ersetzt durch saubere und fein designte Großetablissements, die Blu, Soda, 808 oder Lore heißen.
In Skijacken, Dickis oder Bikerboots fühlt man sich hier irgendwie unwohl und fehl am Platz, ob man nun reinkommt oder nicht. Der Trend gehe zum gepflegten Betrinken in gepflegter Umgebung, heißt es, und wenn nebenbei noch eine Lesung abfällt: umso besser. Ein Schelm, nein ein Miesmacher, der nun argwöhnt, dass in Mitte die Abenteuerspielplätze immer weniger werden und die Leute, die sie nutzen, auch – den Gegenbeweis tritt ja jede Freitagnacht ein Laden wie das Roxy an, wo sich in kahlster Umgebung eine Menge Leute bis in den Morgen die Beine in den Bauch stehen oder tanzen. Ins graue Bild aber passt es, dass auch das WMF dran glauben muss, wie üblich wegen eines neuen Eigentümers, der mit dem Gebäude in der Johannisstraße andere Pläne hat. Das WMF war in Sachen Design und Publikum immer die Klammer zwischen den kleinen, illegalen Clubs und den schicken Großraumetablissements, seine Geschichte ist die der letzten zehn Berliner Clubjahre.
Am Samstag ist endgültig Schluss, und die WMF-Crew sucht ein fünftes Mal (!) eine neue Location (die Rede ist von den Räumlichkeiten des Planet in der Köpenicker Straße). Einer der sinnigsten Abschiedspartys findet dabei heute nacht mit LTJ Bukem statt. Denn der englische Drum&Bass-DJ und -Produzent hat mit dem WMF einige Gemeinsamkeiten. Nicht nur, dass er seinerzeit im dritten WMF an den Hackeschen Höfen einen grandiosen Set gespielt hat: Bukem ist auch ein Sportsmann und hat wie das WMF Steher- und Nehmerqualitäten.
Niemand ist in den Anfängen von Drum&Bass so stark angefeindet worden wie er. Zu seicht seien seine Tracks, zu sehr Kaffeetisch und ausverkaufen würde er sich auch, klagten die D&B-Puristen. Beirren lassen aber hat er sich nie.
Seit sechs Jahren arbeitet Bukem an seiner speziellen Version von Drum&Bass: Funk, Soul, HipHop, Detroit und die Siebziger. Dazu kommen weite Flächen, tiefe, aber wohnliche Eso-Höllen und mit Conrad der beste MC der Welt. Bei den „Logical-Progressions-Sessions“-CDs und den „Earth“-Compilations verlor man zwar schon mal den Überblick, doch gut und durchdacht waren sie immer, den Wirbel, den Alben von Goldie oder Roni Size begleiteten, brauchten sie nie.
Geschmack und Geschichtsbewusstsein setzen sich eben durch, das WMF weiß davon ein Lied zu singen. Dass Bukems Tracks auch sehr gut ins Cibo Matto oder in Cookies neue Bar passen, ist da nicht einmal Ironie: Mit Ideologien hat Bukem es nie gehabt; wenn ein Sponsorenvertrag mit West seiner Sache diente, unterschrieb er ihn. Und gejammert über die Lifestylisierung und Formatierung von Mitte hat auch die Crew vom WMF nie. Sie hat lieber das eigene Ding gemacht und eine neue Location gesucht. Gerrit Bartels
LTJ Bukem, Blame, Rantoul und Conrad, 22 Uhr, WMF, Johannisstr. 20, Mitte
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