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■ Clinton und die Illusion eines politischen DiskursesAmtszeit eines Handlungsreisenden

So langsam muß er aus den Schatten der Vorgänger heraustreten. Sich im Wahlkampf in die Tradition mit Thomas Jefferson, Franklin D. Roosevelt und Harry Truman zu stellen, gehörte zur Strategie des Bill Clinton. Am liebsten umgab er sich mit der Aura des Kennedy-Erben. Bleibt an dieser Stelle nachzutragen, daß man einen Vergleich mit Kennedy eigentlich nur dann als schmeichelhaft empfinden kann, wenn man nichts von den Intrigen und den gekauften Karrieren des Ostküsten- Klans weiß. Aber Mythen sind nun mal gegen historische Details imprägniert – und der Kennedy-Mythos hat Bill Clinton sogar in dem von Haßliebe geprägten Verhältnis deutscher Linker zu den USA den Ruf eines Hoffnungsträgers eingebracht. Viva Billary statt Yankee go home.

Die Affinität ist verständlich. Nicht nur weil im eigenen Land noch nicht einmal ein Hoffnungsträgerlein in Sicht ist, sondern weil die einzig verbliebene Supermacht plötzlich einen an ihrer Spitze hat, der – ganz im Gegensatz zu den Kennedys – eine Empfehlung Machiavellis an neue Regenten auf den Kopf stellt: Bill Clinton will eher geliebt als gefürchtet werden.

Das läßt ihn, aus der Distanz gesehen, allemal sympathisch erscheinen – aus der Nähe betrachtet, erzeugt es manchmal Nervosität. Wenn nach zwölf Jahren Herrschaft reaktionärer alter Männer endlich einer unter fünfzig mit 68er Flair, Machthunger und einem originären Interesse an der Lösung politischer Probleme gewählt wird, dann wünscht man ihm, daß er eine gute Figur abgibt – und zwar ganz im Sinne Machiavellis: Mögen das Pentagon, die christliche Rechte und wer sonst noch in der Reagan/ Bush-Ära gedeihen konnte vor ihm erzittern. Im Umgang mit dem Kongreß, dem Pentagon und dessen infamer Diskriminierungspolitik gegen Schwule und Lesben wäre ein wenig präsidiale Autorität schon angebracht gewesen. Mit autoritärem Gebaren anstelle von Dialogbereitschaft hat das nichts zu tun: Clinton hat vielmehr eine erste Chance verpaßt, zu demonstrieren, daß Bürgerrechte nicht einfach in die Verhandlungsmasse zukünftiger Konflikte zwischen dem Pentagon und dem Weißen Haus eingerührt werden können.

Zweifellos hat Clinton in den ersten vier Wochen auch einige Spuren seiner republikanischen Vorgänger gelöscht. Das gilt für das Recht auf Abtreibung, für die Familienpolitik und zuletzt auch für die Präsentation seines Wirtschaftsprogramms. Da war nicht nur von der Defizitbekämpfung die Rede, sondern seit langem wieder einmal von Finanzmitteln zur Bekämfung der Armut im Land, vor allem in den Städten.

Clintons bislang größtes Kunststück ist aber nicht die Zusammenstellung dieses Zahlenwerks, über dessen Schlüssigkeit man ohnehin streiten kann. Der größte Coup ist vielmehr die öffentliche Mobilisierung für eine Politik, die eigentlich jedem Politiker die Lust auf öffentliche Auftritte verderben müßte: Eine Kombination aus Steuererhöhungen und Einsparungen.

Wohl wissend, daß sein Wirtschaftspaket im Kongreß schnell den Partikularinteressen der Abgeordneten zum Opfer fallen kann, hat Clinton eine ebenso geniale wie gewagte Taktik gewählt: Er mischt sich mit Hilfe der elektronischen Medien unters Volk, auf daß es ihn vor dem Parlament schütze. Soviel steht nach den ersten vier Amtswochen fest: Dies ist der erste Präsident und das erste Kabinett in der Geschichte der USA, zu dessen Arbeitsplatzbeschreibung die regelmäßige Teilnahme an Talk- Shows, Radio-Shows und electronic town hall meetings gehört.

Hier, im TV-Studio oder über Telefon mit Bürgern verbunden, muß und kann Clinton seine Fähigkeit unter Beweis stellen, aufrechtzuerhalten, was unbedingte Voraussetzung für jede öffentliche Zustimmung für seine Politik ist: ein Gefühl der Krise und der Aufbruchstimmung. Die Summe der beiden, so seine Vision, müßte den Amerikanern zumindest für eine Zeitlang eine Art sozialstaatlichen Pioniergeist einhauchen.

Über die Identitätskrise der Amerikaner nicht erst seit dem Ende des Kalten Krieges viel geschrieben und diskutiert worden. Doch neue identitätsstiftende Aufgaben bietet kaum einer an – sieht man einmal von dem eher spielerischen Vorschlag des US-Publizisten Walter Russell Mead ab, die USA sollten Sibirien kaufen und erschließen. Clinton ist der einzige Politiker gewesen, der im Wahlkampf einen neuen Konsens formuliert hat: einen gemeinsamen Willens- und Kraftakt von Staat und Gesellschaft, das Land wirtschaftlich zu reformieren. Dafür mobilisiert Clinton vor laufender Kamera mit dem Mikro in der Hand als Moderator und Heilsbringer in Personalunion. Wer Clinton in Talk-Shows und den sogenannten Call-in-Shows erlebt, merkt, wie sehr der Mann in solchen Situationen in seinem Element ist. Er wünscht den Kontakt mit Menschen, und seine Aussagen sind im Vergleich zu denen anderer Politiker ausgesprochen reich an Fakten. Der Mann ist ohne weiteres in der Lage, in einer Rede zur Lage der Nation einen volkswirtschaftlichen Crashkurs einzubauen.

Trotzdem verdient diese Form der Kommunikation zwischen Exekutive und Wahlvolk – mit ausgesuchtem Publikum und vorher an Zielgruppen getesteten Statements der Politiker – nicht die Bezeichnung „Dialog“. Es gibt auch keine neue Ära der „Mediendemokratie“ zu feiern, wie Antje Vollmer jüngst an dieser Stelle (taz vom 17.2) schrieb. Was hier stattfindet, ist eine technologisch fortschreitende Trennung zwischen Politik und der Inszenierung von Symbolik. Am Ende steht die Illusion eines politischen Diskurses, die nichts weiter ist als eine Verkaufsstrategie.

Das Paradoxe ist: Jeder weiß es, denn das Fernsehen überträgt nicht nur Inszenierung von Symbolik, sondern liefert auch gleich die Rezension. Zum Programm gehört nicht nur die Übertragung der x-ten Talk-Show mit Bill Clinton oder Al Gore, sondern auch das Zwiegespräch zwischen Reportern und Clinton- Sprecher George Stephanopoulos über die Effektivität der Verkaufsstrategie. Der Zuschauer kann dann noch am gleichen Abend der nächsten Meinungsumfrage entnehmen, ob er angebissen hat. Bill Clinton, so meinte unlängst ein Berater, sei nicht glücklich, wenn er den Leuten nichts verkaufen könne.

Das Riskante ist, daß sich der mediale Schulterschluß mit den Bürgern sehr schnell zum Bumerang entwickeln kann. Es wäre nicht das erste Mal, daß die Amerikaner nach anfänglicher Euphorie von ihrem Präsidenten in Ruhe gelassen werden wollen und die Illusion des Dialogs aufgeben. Wenn Clinton das nicht zum rechten Zeitpunkt begreift, steht er am Ende nicht in einer Reihe mit Jefferson, Kennedy oder dem „großen Kommunikator Ronald Reagan“, sondern mit Willy Loman aus Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“. „Er ist ein Mann, der irgendwie in der Luft schwebt, der mit seinem Lächeln reist und mit seiner Bügelfalte. Und wenn sein Lachen nicht mehr erwidert wird – dann stürzt eine Welt ein.“ Andrea Böhm, Washington

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