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Christiania–Kommunarden als saubere Bürger

■ Seit 15 Jahren hält sich in Kopenhagen der „Freistaat“ / Ex–Hippies pokern um Mietverträge und Verschönerungs–Subventionen / Rege Bautätigkeit und Hobbypflege / Interne Auseinandersetzungen um Legalität des Drogenmarktes

Von Benjamin Blümchen

Berlin (taz) - Die Feier findet im kleinen Kreise statt. Geladen sind die nächsten Anverwandten, Freunde, vielleicht ein paar Bekannte aus alten Tagen: Christiania, Kopenhagens „Freistaat“, hat Geburtstag. Vor 15 Jahren besetzten Hippies und „Slumstormer“, Hausbesetzer, das leerstehende Militärareal. Jubelfeiern wird es nicht geben. Wozu auch sollten sie sich selbst hochleben lassen? Die vielen enthusiastischen Freunde aus stürmischen Tagen sind rar geworden, haben Christiania abgeschworen oder sich still zurückgezogen. Spätestens Ende der siebziger Jahre, als es nach einem baldigen Ende des Projekts aussah, sind viele ehemalige „Aktivisten“ mit Frau, Kind und Kegel aufs Land oder in andere Kollektive geflüchtet. Diejenigen, die blieben, richteten sich häuslich ein mit Farbfernseher, Stereoanlage und Segelyacht und behaupteten sich eben so gut es ging, trotz aller Anfeindungen. Intern war man sich nicht immer einig, was denn zu tun sei, wenn etwa die Regierung wieder einmal forderte, den Haschisch– verkauf zu unterbinden oder endlich die Kneipen und Restaurants den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend zu betreiben. Harte Drogen gibt es seit einer selbstorganisierten „Junkblockade“ 1979 nicht mehr im Freistaat. Mit den Rockern, die für ständige Unruhe sorgten, hat man sich im letzten Jahr gütlich einigen können. Aber über das, was die Zukunft bringen könnte, schweigen inzwischen selbst die erfahrendsten und klügsten Köpfe. Allerdings gab es in diesem Frühjahr ein wohl endgültiges Signal: Eine Mehrheit im Parlament verpflichtete mit den Stimmen der Linksparteien die Minderheitsregierung des konservativen Ministerpräsidenten Poul Schlüter, den Bestand von Christiania zu wahren. Damit scheinen Vorschläge wie der von Mogens Glistrup, Gründer der rechten „Fortschrittspartei“, vom Tisch zu sein, Christiania doch, bitteschön, ins grönländische Eis zu verlegen. Inzwischen wälzt eine Kommission aus Beamten des Verteidigungsministeriums, dem Eigentümer des Geländes, Aktenberge. Die Regierung, die für die Auflösung des Freistaates eintritt, soll gleichzeitig Pläne für eine gesicherte Zukunft der etwa 800 „Christianiter“ ausarbeiten. Altgediente Christianiter wie Henrik Gottlieb erwarten zwar keine goldenen Dachpfannen, aber mit ein paar Millionen Kronen für die längst fällige Renovierung der zum Teil unter Denkmalschutz stehenden Gebäude rechnet inzwischen auch er. Seit Jahren verwaltet Henrik als eine von drei Hauptkassierern die Gemeinschaftskasse Christianias und konnte im letzten Jahr dem Verteidigunsministerium eine Million Kronen (etwa 280.000 DM) für Wasser und Strom übergeben, eine Art offizieller Miete. Offiziell weigert sich das Ministerium bislang hartnäckig, Geld entgegenzunehmen. Denn das würde eine juristisch einklagbare Anerkennung der unerwünschten „Mieter“ bedeuten. Nur mit einer Mischung aus Widerstandskraft und Energie zum Ausbau des Vorhandenen wird Christiania sich behaupten können. Eine endgültige Bestandsgarantie ist nur über Zugeständnisse an die Behörden zu erreichen, und darüber ist man sich in Christiania überhaupt nicht einig. Die Autonomie des „Freistaats“ wäre dann dahin, und nicht zuletzt die Dealer wären endgültig vertrieben. Eine Auseinandersetzung, die noch lange nicht entschieden scheint, auch wenn viele Christianiter inzwischen gegen den Haschisch markt sind. Zur Zeit ein reger Bauboom ausgebrochen. Wer eine Hütte hat, baut an, wer ein Haus hat, aus, und wer gar nichts hat, baut auf. Überall entstehen Bretterpaläste und Baugruben. Denn eine der Auflagen für eine eventuelle Legalisierung lautet: keine Neubauten. Die alten Hippie–Zeiten sind passe. Aber nichts wäre fataler, als aus Christiania nun einen Mythos zu zaubern. Der Freistaat ist so lebendig wie immer. Man muß nur einmal genauer hinsehen.

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