Debattenkultur: Keine Angst vorm Gendern, liebe Mitboomer
Geschlechtergerechte Sprache ist ungefährlich. Trotzdem bekommen viele Männer über sechzig davon Schnappatmung. Vier Tipps einer Altersgenossin.

D iese Kolumne wird ja auch stets in versöhnender Absicht geschrieben, will sie doch für mehr Verständnis zwischen Boomern, Millenials, Gen X und Gen Z werben.
Dabei übersieht die Autorin manchmal, dass ein Riss durch ihre eigene Generation geht. Mir persönlich ist zum Beispiel die Gender-Phobie meiner männlichen Mitboomer ein unerklärliches Phänomen.
Nun ist über das Gendern schon viel gesprochen worden und als Old-School-Feministin halte mich auch nicht gerne an Regeln und gendere gerade so, wie es mir passt. Die bedeutungsvolle Pause bei „Leser- innen“ zum Beispiel finde ich ein bisschen affig, aber es regt mich bei anderen überhaupt nicht auf.
Hingegen verwende ich gerne das generische Femininum, spreche also grundsätzlich von Musikerinnen oder Autorinnen – Männer sind natürlich mitgemeint. Die „Gästin“ wiederum wird mir kaum über die Lippen kommen, auch wenn angeblich Goethe schon von ihr sprach.
Manchmal rutsche ich auch ins generische Maskulinum ab. Aber das finde ich nicht so schlimm. Es ist auch nicht so wichtig und wird mir auch von führenden Feministinnen verziehen.
Entwarnung: Gendern ist keine Pflicht
Grundsätzlich möchte ich meinen Altersgenossen aber etwas Wichtiges sagen: Kein Mensch muss gendern. Es gibt keine allgemeine Pflicht zum Gendern in Deutschland. Lediglich in einigen Bundesländern gibt es Vorgaben für die öffentliche Kommunikation, Verwaltung und Schulen. Dort ist das Gendern verboten. Wer gendert, riskiert dort mitunter ihren Job.
Wer nicht gendert, macht sich dagegen nicht strafbar, wird nicht verachtet, verlacht oder stigmatisiert. Das Leben läuft einfach so weiter – warum also dieser Hass aufs Gendern? Gerade Männer um die 55 plus sind herzinfarktgefährdet und sollten sich nicht künstlich aufregen. Aber leider ist ja bei nicht wenigen Männern in diesem schwierigen Alter eine Verknöcherung und Radikalisierung ins Konservative festzustellen.
Gut beobachten lässt sich das bei älteren Kolumnisten und Autoren und ihrem sturen, schlechtgelaunten Wettern gegen alles, was sie nicht mehr verstehen wollen. Hauptsache dagegen: Gegen das Gendern und eine diskriminierungsfreie Sprache allgemein, gegen veränderte soziale Normen bei dem, was sie für „Flirten“ halten. Aber auch gegen Migration, gegen Geflüchtete und Muslime geht es. Nur für die AFD und ihre Wähler haben sie dann wieder Verständnis.
Doch diese kleine Gruppe der Problemkolumnisten ist nur das Symptom einer fortschreitenden Polarisierung der Geschlechtscharaktere in der politischen Ausrichtung. Die Friedrich-Ebert-Stiftung spricht in einer aktuellen Studie schon von einem Gender-Gap im Wahlverhalten. Leicht verkürzt gesagt, kommt die Studie zum Schluss: Männer wählen eher rechts, Frauen eher links.
1. Sprache verändert sich.
2. Es gibt nicht nur Mann und Frau.
Dem hinzufügen möchte ich noch:
3. Kein Mensch ist illegal
und den alten Boomerinnenratschlag:
4. Leben und leben lassen.
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