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Christiane Müller-Lobeck Leuchten der Menschheit Dschihad und Psycho-Meise

Mit dem Blick auf all die Attentäter dieser Tage verhält es sich wie mit der Altersweitsichtigkeit. Je näher man etwas heranzieht, desto unschärfer wird es. Ganz nah dran war am Dienstag auch die ZDF-Sendung „Verlorene Söhne“. Außer der Suche nach Liebe, Zuwendung und familiärer Wärme konnten die Filmautoren bei dschihadistischen Teenagern nichts entdecken. Vielleicht hätte man besser auf den Vater der zwei Konvertiten Manuel und Fabian hören sollen, der sich im Netz genau umgesehen hat, da, wo sich seine Söhne verfangen haben, bevor sie zum IS nach Syrien ausreisten. „Eine Propaganda wie bei Hitler“, sagte er.

Andererseits hat man es in Europa – abgesehen von eingeschleusten „Hit-Teams“ – eben immer häufiger mit „fanatisierten Einzeltätern“ zu tun, wie Thomas de Maizière kürzlich die Erkenntnisse deutscher Ermittlungsbehörden resümierte. Vor den Einzelheinzen hat der französische Soziologe Farhad Khosrokhavar in einer größeren ­Studie schon kurz nach dem Charlie-Hebdo-Attentat gewarnt, dabei ging das ja noch von einer etwas größeren dschihadistischen Zelle aus. Er führt den Aufstieg des „Typus des introvertierten Dschihadisten“, wie er ihn nennt, auf geheimdienstliche Erfolge bei der Entdeckung terroristischer Gruppen zurück. Ein im Grunde beruhigender Befund, nachzulesen in seinem Buch „Radikalisierung“ (Europäische Verlagsanstalt, 2016), das Bestandsaufnahme, Rückschau auf verschiedene Formen gewalttätiger Radikalität und Politikratgeber zugleich ist.

Und warum haben Einzel-Dschihadisten genau wie ihre nationalistischen oder rassistischen Brüder so häufig eine Psycho-Meise? Es gebe eine „Logik der Gruppe“, so Khosrokhavar. Organisierte Terrorzellen würden sich psychisch instabile Bewerber tunlichst vom Leibe halten. Weil es unmöglich ist, sämtliche Borderliner zu observieren, setzt der Soziologe auf einen Dreiklang aus Bildung, Sozialarbeit und Aufklärung, am besten durch Aussteiger. Moscheen seien egal. Dort würden die Radikalen aus Angst vor Entdeckung nicht mehr hingehen. Bitte weitersagen.

Die Autorin ist freie Journalistin und lebt in Hamburg

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