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Christa Pfafferott Zwischen MenschenÖffnet Eure Fenster

Da liegt sie, die Mütze. Wie ein Ausrufezeichen. Rot, wie ein Trichter geformt, mit einem weißen Bommel an der Spitze. Eine Weihnachtsmütze. Ein Freund hat sie mir nach einer Adventsfeier mitgegeben: „Sie steht Dir“, meinte er. „Trag’sie doch morgen mal aus Spaß bei der Arbeit.“ Doch ich traf da einen Menschen, der Ernstes erzählte. Und es passte nicht, ich setzte sie nicht auf. Seitdem liegt die Mütze zuhause auf der Fensterbank.

Es ist einer der letzten Tage vor Weihnachten. Ein Morgen ohne Sonne, der Himmel ist grau. Ich weiß noch nicht, in welcher Stimmung ich diesem Tag begegne. Ich blicke hinunter in den Innenhof meines Hauses. An den Hausfassaden haben die meisten Menschen etwas Weihnachtliches dekoriert und offenbaren damit etwas von sich, den Wunsch, es sich gemütlich, festlich zu machen.

Da bemerke ich an den Mülltonnen zwei Mitarbeiter der Hamburger Stadtreinigung. Sie haben orangefarbene Arbeitskleidung an. Auf den Köpfen tragen sie beide eine rote Weihnachtsmütze. Sie scheinen sie aus Spaß aufgesetzt zu haben. Es sieht nett aus, wie ihre Mützen wippen. Zusammen schieben die Arbeiter einen vollen Müllcontainer hinaus aus der Einfahrt zum Müllwagen. Auf einmal habe ich eine Idee: Wenn sie den vollen Container hinausschieben, werden sie den leeren auch wieder hineinbringen.

Ich blicke zu der Mütze, die schon die ganze Zeit dort liegt, als würde sie auf etwas warten. Soll ich? Dann ziehe ich sie auf. Ich spüre Aufregung, dieses Prickeln, bevor eine Überraschung eintritt. Auf einem anderen Balkon sehe ich eine fremde Person sitzen. Was wird sie denken? Egal. Ich öffne das Fenster.

Christa Pfafferott ist Autorin und Dokumentar-filmerin. Sie hat über Macht-verhältnisse in einer forensischen Psychiatrie promoviert. Als Autorin beschäftigt sie sich vor allem damit, Unbemerktes mit Worten sichtbar zu machen.

Den leeren, leichter gewordenen Container schiebt nun nur noch einer der Mitarbeiter hinein. Er ist mittleren Alters, schlank, aus der Ferne sieht er so aus, hätte er schon etwas Leben hinter sich. Als er den Müllcontainer verstaut hat, öffne ich das Fenster und rufe laut hinaus über den Hof: „Daaanke!“

Der Mitarbeiter stutzt, er schaut hinauf, seine Augen suchen die Fenster ab. Dann erblickt er mich. Ich zeige auf meine Weihnachtsmütze und hebe den Zipfel hoch. Er lacht, hält inne. Dann drückt er einen Knopf an seiner Mütze und die Spitze bewegt sich auf einmal mechanisch hin und her. Ich hebe meinen Daumen nach oben. Und er breitet die Arme aus.

Er reißt die Arme auseinander, wie ein Fußballer, der gerade ein Tor geschossen hat, wie ein Pastor im Altarraum. Und in dieser Geste liegt alles. Als würde er das ganze Leben umarmen. Den grauen Himmel auffangen. Als würde er sagen, siehst Du, es ist alles gut. Ist das nicht fantastisch! Ich lache. Da steht dieser orange Mensch im Hof, der für mich seine Mütze tanzen lässt. Dann wirft er mit einer Handbewegung eine Kusshand zu mir hinauf. Und ohne nachzudenken werfe ich ihm eine hinunter. Wir schauen uns an. Diese unbekannte Person und ich, mehrere Meter Luftlinie hinauf voneinander entfernt. Wir wissen nichts voneinander. Wahrscheinlich werden wir uns nicht wiedersehen. Doch in diesem Moment gibt es eine Verbindung. Auf einmal ist eine Linie zwischen uns gespannt, wie mit dem Lineal. Von Zipfelmütze zu Zipfelmütze.

Der Mitarbeiter geht schließlich vom Hof. Ich schließe das Fenster. Die Mütze lasse ich noch etwas auf. Ach, dafür war sie da, denke ich. Wie sich alles ändert, wenn ich mitspiele, das Fenster öffne. Wie jede Geste zählt.

Wir wissen nichts voneinander. Doch in diesem Moment gibt es eine Verbindung

Liebe Leser:innen. Das ist mein letzter Text dieser Kolumne für die taz nord. Ich danke Ihnen und Euch für das Lesen, das immer eine Verbindung zwischen Lesenden und Schreibenden spannt. Wie eine unsichtbare Linie. Manchmal wurden diese Linien sogar sichtbar. Mit Briefen, Zeichnungen und Kommentaren, die mich über die Jahre zu dieser Kolumne erreichten. Sie haben mein Herz erfreut und unsere unsichtbare Verbindung spürbar gemacht. Wenn mir eines bleibt zu schreiben, vor dem Ende dieses Jahres, dann dies: Öffnet Eure Fenster!

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