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Christa Pfafferott Zwischen MenschenWer kontrolliert wird – und wer nicht

Vor dem Fenster liegt noch die Schweiz. Nur Minuten, dann gleitet der Zug über die Grenze. Wie gewohnt wechselt das Land unbemerkt, solange Natur hinter dem Fenster liegt und noch keine Zeichen deutsches Territorium verraten. ­Basel–Hamburg, siebeneinhalb Stunden Fahrt. Ich richte mich auf meinem Platz ein. Es ist früher Morgen. Parallel zu mir, auf dem Zweiersitz neben dem Gang, schläft ein jüngerer Mann. Er hat die Kapuze seines Hoodies über seine Augen gezogen. Nur ein schwarzer, dichter Bart ist in der unteren Gesichtshälfte zu sehen. Er schläft tief. Ich beneide ihn um seinen Schlaf. Ich fühle mich auch müde, bin aber gleichzeitig zu wach, um zu schlafen.

Nachdem wir die schweizerisch-deutsche Grenze passiert haben, laufen uniformierte Polizeibeamte durch den Zug. Sie bleiben vor dem Mann neben mir stehen. Ein großer, älterer Polizist spricht ihn an: „Aufwachen. Ausweiskontrolle!“ Als er nicht reagiert, stupst der Polizist ihn am Arm. Langsam kommt der Mann zu sich. Er erschrickt nicht, als er beim Aufwachen direkt in die Gesichter der Polizei blickt, er bleibt erstaunlich ruhig. Sofort zieht er die Kapuze vom Kopf, als wüsste er, dass er sich nun besser ganz zeigt. Umständlich sucht er in seiner Tasche. Es dauert, bis er seine Geldbörse gefunden hat. Dann zeigt er seinen Pass. Der Polizeibeamte nimmt ihn an sich, seine Kollegin telefoniert und scheint sich zu den Personalien des Mannes zu erkundigen.

Während sie auf Auskunft warten, frage ich den Polizeibeamten: „Mich würde interessieren, nach welchen Kriterien Sie kontrollieren?“

„Zufall“, sagt der Polizist knapp.

„Mir fällt auf, dass häufiger Menschen kontrolliert werden, die dunkle Haare haben“, sage ich.

„Nach was würden Sie denn kontrollieren“, fragt der Polizist zurück.

Foto: Andreas Dahn

Christa Pfafferott ist Autorin und Dokumentar-filmerin. Sie hat über Macht-verhältnisse in einer forensischen Psychiatrie promoviert. Als Autorin beschäftigt sie sich vor allem damit, Unbemerktes mit Worten sichtbar zu machen.

„Das weiß ich nicht. Ich habe nicht die gleiche Ausbildung wie Sie“, antworte ich. Ich versuche vorsichtig zu formulieren, sodass das Gespräch nicht gleich abbricht: „Ich habe höchsten Respekt vor Ihrer Arbeit, aber mir fällt auf, dass häufig Menschen kontrolliert werden, die vielleicht nach ihrem Aussehen auch noch andere als deutsche Wurzeln haben könnten.“

Der Polizist sagt etwas, was ich akustisch nicht verstehe, etwa in Richtung: Wir machen unsere Arbeit. Das Polizeiteam schaut in die Tasche des Mannes. Er lässt es ruhig geschehen.

Später werde ich dazu recherchieren. Nach der sogenannten „Schleierfahndung“ kann die Polizei in grenznahen Bundesländern wie Baden-Württemberg in Zügen bis 30 Kilometer hinter der Grenze anlasslose Kontrollen durchführen, etwa um illegale Einwanderung und Kriminalität zu vermeiden. Kritische Stimmen beanstanden, dass dies in die Grundrechte eingreife und befürchten ein „racial profiling“. Kontrollen, die aufgrund einer ausländischen Herkunft eher geschehen, verstoßen jedoch gegen das Diskriminierungsverbot und das Prinzip der Gleichbehandlung.

Ja, nach was würde ich entscheiden, wen ich kontrolliere? Würde ich irgendwann für mich rausfinden, welche Menschen besonders einem Verdacht standhalten? Bei meinen Fahrten von Dänemark oder der Schweiz nach Hamburg zurück sind bei Kontrollen in meiner Nähe Schwarze kontrolliert worden und ein Mann, der Arabisch sprach. Ich selbst bin noch nie kontrolliert worden.

Das Polizeiteam schaut in die Tasche des Mannes. Er lässt es ruhig geschehen

Die Polizistin hat in der Zwischenzeit telefonisch Auskunft erhalten. Sie gibt dem Mann neben mir den Ausweis zurück. Die Polizei geht nun weiter durch den Gang.

Der Mann und ich gucken uns kurz an. „Entschuldigen Sie“, sage ich zu ihm. Ich hoffe, dass mein Kommentar für ihn nicht übergriffig gewesen ist. „Mir fällt das auf bei Kontrollen. Ich wollte zeigen, dass das nicht unbemerkt bleibt“, sage ich. Er schüttelt den Kopf. „Ich hätte das auch gern gefragt“, sagt er. „Aber in der Situation wäre das nicht so gut.“ Er lehnt sich wieder zurück. Aber er schläft nicht mehr.

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