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Christa Pfafferott Zwischen MenschenAm See der ganz natürlichen Liebe

Foto: privat

Christa Pfafferott ist Autorin und Dokumentar-filmerin. Sie hat über Macht-verhältnisse in einer forensischen Psychiatrie promoviert. Als Autorin beschäftigt sie sich vor allem damit, Unbemerktes mit Worten sichtbar zu machen.

Ein See in der Stadt. Die Menschen sitzen am Ufer auf Treppen. Die Sonne scheint. Die Bäume rings um den See blühen. Die Szenerie ist unterlegt mit einem Klangteppich aus Vogelzwitschern. Das Leben leuchtet. Wenn ein Kind diesen Tag malen würde, würde es wahrscheinlich eine dicke, gelbe Sonne zeichnen, grünes Gras, spielende Hunde und Menschen mit einem breiten Lachen im Gesicht. Hinter dieser fröhlichen Kinderzeichnung scheinen die komplizierten Fäden des Weltgeschehens, die Suche nach dem Morgen und die Fragen über das Gestern zurückzuweichen. Das Jetzt riecht nach Beginn.

Auf den Treppen vor dem See sitzt ein Paar. Zwei Männer, die vergnügt zusammen Pizza essen, daneben hocken Mütter mit ihrem Baby im Arm auf den Stufen. Nahe der Treppe haben zwei Frauen im Gras eine Decke ausgebreitet und picknicken. Sie stecken sich gegenseitig etwas in den Mund und wirken verliebt. Alle schauen auf den See. Die Sonne lässt das Wasser glitzern. Zwei Enten schwimmen darauf, heben immer wieder ab, fliegen zusammen weite Strecken über das Wasser, bis sie wieder landen. Die Menschen lachen und zeigen auf die Enten.

Die eine Ente ist hinter der anderen her. Immer wieder versucht sie, auf das Hinterteil der anderen zu springen, rutscht ab. Das Wasser spritzt. Die Ente versucht es erneut. Diesmal landet sie und bleibt länger auf der anderen, bewegt sich auf ihr. Die Enten schnattern aufgeregt, ihre Schnäbel leuchten gelb in der Sonne, ihr Gefieder ist braun-weiß, beide Köpfe der Enten glänzen metallisch grün. Es sind zwei Erpel, zwei Männchen, die sich begatten.

Lachen die Menschen am See deswegen? Weil es zwei Tiermännchen dort in der Mitte der Stadt miteinander treiben? Frei und selbstverständlich, anscheinend voll ausgelassener Frühlingsgefühle. Der eine Erpel scheint mehr von dem anderen zu wollen. Der andere Erpel flieht jetzt vor ihm, fliegt nah über dem Wasser vor ihm davon. Doch der andere bleibt hinter ihm. Er lässt nicht von ihm los, er springt immer wieder auf sein Hinterteil. Der andere Erpel lässt es zu. Die beiden Erpel schnattern laut und flattern mit den Flügeln.

Die Menschen schauen dem Treiben auf dem See wie einem Schauspiel zu. Die zwei Männer auf den Treppen lachen, auch die anderen wirken wie erleichtert von diesem Bild, beschwingt. Sie scheinen sich zu freuen, dass sich dort zwei Erpel in der Öffentlichkeit vergnügen. So ist das. Und so soll das sein. Das ist die Natur. Es gibt alle Liebe.

Homosexualität ist im Tierreich ganz natürlich. Stockenten sollen nur solange in einer heterosexuellen Beziehung leben, bis das Weibchen Eier legt. Dann verlässt der Erpel das Weibchen. Bis zu 19 Prozent der männlichen Stockenten sollen ein schwules Sexualverhalten haben. Nach Studien kommt gleichgeschlechtlicher Sex bei mehr als 1.500 Spezies vor. Für die Enten ist ihr Tun unhinterfragbar. Vielleicht ist das so erleichternd, dass es zu dem auf dem See keine Debatten, Erklärungen oder Rechtfertigungen gibt, wie es die gleichgeschlechtliche Beziehung durch die Historie bis heute immer noch prägt. Ein Erpel liebt einen Erpel. So ist das.

Der eine Erpel scheint mehr von dem anderen zu wollen

Doch vielleicht sind ja auch die Erpel in diesem Bild durch die Paare beschwingt, die am Ufer sitzen und ihre Liebe zeigen. Die so eine offene Haltung von Liebe mitprägen und dafür sorgen, dass gleichgeschlechtliche Liebe selbstverständlich zum Bild der Gesellschaft dazugehört.

Dem einen Erpel scheint nun die Lust des anderen zu viel zu werden. Er versucht ein paarmal zu fliehen, dann schafft er es, hebt ab und fliegt über den See davon. Der andere folgt ihm. Jetzt neckt der andere Erpel zurück. Landet auf dem Wasser, fliegt wieder. Das Schnattern der Erpel klingt über das Wasser. Die Bäume um den See duften. Die Menschen lachen. Der Frühling explodiert. Die beiden Frauen auf der Decke am Ufer küssen sich. Die Mutter küsst ihr Baby. Die beiden Männer stehen lächelnd auf und bringen ihre Pizzakartons weg. Überall blüht das Leben.

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