Christa Pfafferott Zwischen Menschen: Sparen ist Feiern. Sparen ist Verschwenden
Christa Pfafferott ist Autorin und Dokumentarfilmerin. Sie hat über Machtverhältnisse in einer forensischen Psychiatrie promoviert. Als Autorin beschäftigt sie sich vor allem damit, Unbemerktes mit Worten sichtbar zu machen.
Sparen hat seinen Preis. Es ist das aufgesparte Jetzt gegen eine bessere Zukunft. Es ist die Sicherheit gegen die Verschwendung. Das versorgte Später gegen den maßlosen Moment. Vielleicht ist Sparen auch etwas anderes. Das finde ich gerade heraus. Ich spare jetzt in der Kneipe. Seit Anfang des Jahres. Einmal die Woche gebe ich in der „Domschänke“ mein Geld ab. Eine Raucherkneipe auf St. Pauli, gegenüber vom Millerntorstadion. Ich bin hier jetzt Mitglied im Sparklub, ich habe ein Fach mit einer Nummer, an dem mein Vorname steht. Aus einem unbestimmten Grund macht mich das stolz.
Die Sparklub-Bank ist ein kleiner eiserner Kasten mit 60 Schlitzen. Wer hier ein Fach hat, muss jede Woche mindestens sieben Euro einwerfen. Zwei Euro davon gehen an den Sparklub: ein Euro für gemeinsame Ausflüge oder das Weihnachtsessen, ein Euro für den Lotto-Jackpot. Jede Woche gilt die letzte Ziffer der staatlichen Lotto-Gewinnzahl. Fällt die auf die Nummer des eigenen Fachs, gewinnt man 25 Euro.
Zwei Euro Gebühren die Woche sind viel. Es ist ein komisches Gefühl, als ich den ersten zusammengefalteten Schein in mein Fach stecke. Ich habe von den Sparklubs über den Dokumentarfilm „Manche hatten Krokodile“ über St. Pauli erfahren. Damals dachte ich, das hätte ich auch gern, ein Kneipen-Konto. Ein autarker Ort, wo abseits staatlicher und privatwirtschaftlicher Vorsorge gespart wird. Anfang des Jahres hörte ich dann, dass in der „Domschänke“ Fächer frei waren, sicherte mir eins und brachte auch eine Freundin dazu mitzumachen.
Jetzt verschwindet hier mein Geld ohne Beleg im dunklen Kasten: „Kommt hier was weg?“ Die Wirtin schüttelt den Kopf: „Nee, hier kommt nichts weg.“ Ich spüre, an diesem Ort zählt das Wort. Und im Grunde ist es ja auch nichts anderes, sein Geld in die verborgenen Abgründe einer Bank zu führen. In der Kneipe ist das Geld sicher, vor allem vor einem selbst:
Zum Ende der Woche werden die Sparfächer geleert, die Beträge zu den Namen in einer Liste vermerkt. Erst am Jahresende wird ausgezahlt. Die Sparklubs in den Kneipen sind das ausgelagerte Sparschwein der Leute. Doch anders als zu Hause kommt hier an das Geld keiner mehr ran. Dabei kann schon etwas zusammenkommen: Wer 30 Euro im Monat in sein Fach steckt, spart immerhin 360 Euro im Jahr. Das kann man zur Rente dazu tun oder für einen kleinen Urlaub ausgeben.
Allerdings: Wer spart, der bleibt. Nachdem meine Freundin und ich das Geld in die Fächer gesteckt haben, setzen wir uns zu den anderen an die Theke, bestellen Getränke und werfen Geld in die Jukebox, wählen Lied Nummer 3009, Vicky Leandros: „Ich liebe das Leben“. Im Grunde ist es ein Nullsummenspiel. Genau so viel Geld, wie ich heute gespart habe, gebe ich hier im Laufe des Abends auch aus. Dafür sitzen wir jetzt hier und nicht zu Hause, neben einem Hafenarbeiter, der zusammen mit seiner Dogge Anna gekommen ist. Sie füllt eine ganze Sitzbank aus: „Doggen sind lieb, ganz pflegeleichte Hunde“, sagt der Mann. „Sie schlafen den ganzen Tag.“ Man sieht ihm an, dass er Anna liebt. „Anna ist drei Jahre alt. Sie wird steinalt bei mir“, sagt er stolz.
Ein anderer Gast gibt uns zwei Euro für die Jukebox: „Hier, macht Musik.“ „Was denn?“ „Egal. Einfach Musik“. Meine Freundin wählt neue Lieder und auch wieder Vicky Leandros: „Was kann mir schon geschehen. Glaub mir, ich liebe das Leben … Man wird ja sehen, die Welt ist schön.“ Die Wirtin schwingt im Takt die Arme. Wir tanzen. Es ist kein Nullsummenspiel: Sparen ist Feiern. Sparen ist Verschwenden. Sparen heißt hier: in Gemeinschaft zu sein.
Auf dem Nachhausweg fühle ich mich ganz lebendig. Und da weiß ich noch nicht, was in der nächsten Woche passieren wird: Da fällt die Gewinnzahl im Lotto tatsächlich auf mein Nummernfach. Ich gewinne den Sparklub-Jackpot, 25 Euro. „Aber das kriegst du nicht ausgezahlt“, sagt die Wirtin. „Das kommt auf dein Sparkonto.“ Spätestens jetzt weiß ich: In der Kneipe zu sparen, ist eine absolut vernünftige Entscheidung.
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