Chinesisches Radioprogramm: Welle von offenen Briefen
Die Kontroverse um das chinesische Programm der Deutschen Welle wird immer mehr zur Kampagne. Pekings Propaganda wirft der Welle "Nazi-Geist" vor.
Erstmals wollen sich an diesem Mittwoch Bundestagsabgeordnete aus erster Hand über das umstrittene chinesische Programm der Deutschen Welle (DW) informieren. Denn den Etat des Auslandssenders bestimmt das Parlament. Am Morgen ist deshalb DW-Intendant Erik Bettermann zu einem nichtöffentlichen Gespräch mit Mitgliedern der Bundestagsausschüsse Äußeres sowie Kultur und Medien nach Berlin geladen.
Die Kontroverse um das Programm hat inzwischen den Charakter einer Kampagne samt den Facetten eines Glaubenskriegs. Bisher meldeten sich Dissidenten, Schriftsteller, Sinologen und Politiker mit mindestens fünf offenen Briefen zu Wort. Das chinesische Radioprogramm und die bisher davon getrennte chinesische Onlineredaktion des Senders in Bonn werden seit Wochen wegen angeblicher Propaganda für das Regime in Peking angefeindet.
Der Konflikt wurde durch umstrittene Äußerungen der damals stellvertretenden Radio-Redaktionsleiterin Zhang Danhong ausgelöst, die sie außerhalb des DW-Programms gemacht hatte. Zhang hatte die Befreiung von Millionen Chinesen aus der Armut als größten Beitrag zur Verwirklichung der Menschenrechte bezeichnet wie Chinas Internetzensur mit dem deutschen Verbot von Kinderpornografie im Internet gleichgesetzt. Während die Journalistin inzwischen von ihrer Leitungsfunktion entbunden wurde, nutzte Pekings Propaganda den Fall, um westlichen Medien Doppelmoral und der Welle "Nazi-Geist" vorzuwerfen. Die Kritiker des Programms reagieren auf alles allergisch, was Chinas KP propagandistisch nutzen kann, und ignorieren, dass die DW-Webseite in China lange blockiert war. Demgegenüber stehen Rufe nach differenzierten Urteilen ohne Denkverbote, was auch Lob für Peking heißen kann.
Zuletzt äußerten sich am Montag erstmals in China lebende Dissidenten und Regimekritiker mit einem offenen Brief. Zu den Unterzeichnern gehören die Professorin Ding Zilin, die eine Gruppe von Angehörigen von Opfern des Tiananmen-Massakers organisierte, sowie das frühere ZK-Mitglied Bao Tong und der Menschenrechtsanwalt Teng Biao. Sie halten Zhangs umstrittene Äußerungen für "absurd", aber von der Meinungsfreiheit gedeckt und betrachten Personalentscheidungen als eine interne Angelegenheit des Senders. Ansonsten fordern sie in Antwort auf einen Brief von deutschen Sinologen und Chinaexperten diese auf, sich nicht nur für Zhangs Meinungsfreiheit in Deutschland einzusetzen, sondern auch für die von in China verfolgten Regimekritikern.
Auffällig an dem Brief ist, dass er weder Stellung zum Inhalt des chinesischen Radioprogramms noch zu dem der Webseite nimmt. Denn denen wird von in Deutschland lebenden chinesischen Dissidenten vorgeworfen, von Pekinger Propagandisten unterwandert zu sein. Auch ein Bericht des Deutschlandfunks (DLF) behauptete kürzlich, die chinesische Webseite enthalte Propaganda Pekings und widerspreche damit Berichten der deutschen DW-Webseite. Intendant Bettermann hatte eine Übersetzung zahlreicher Beiträge angeordnet, wies die im DLF geäußerte Kritik aber empört zurück.
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