Chinesischer Filmemacher über Peking: "Für mich bedeutet Gewalt Glück"
Videokünstler Zhao Liang hat jahrelang verrückte Szenen auf Pekings Straßen gefilmt. "City Scene" ist eine Art chinesische "Symphonie einer Großstadt" und ein Höhepunkt der Berlin Biennale.
taz: Herr Zhao Liang, in Ihrem Film gibt es eine Szene an einer Baustelle der neuen Olympia-Infrastruktur. Da pinkelt eine Gruppe von Männern auf die grünen Baustellennetze. Ist das ein Kommentar zu den Olympischen Spielen?
Zhao Liang: Nein. Für mich ist die Olympia-Baustelle wie ein großes Kunstwerk. Ich fahre oft dorthin und gucke, wie weit sie gerade sind. Weiter denke ich nicht darüber nach. Für mich heißt das nur, dass mit den Spielen in China, mit der großen Party, viel Geld verdient wird. Es gibt übrigens noch eine weitere Sequenz in "City Scene", die ich auch da aufgenommen habe.
Vor dem Bauschild nimmt sich ein Schäferhund eine kleine weiße Promenadenmischung vor, was komisch und tragisch ausschaut, weil es aufgrund des Größenunterschieds nicht so recht gelingen will.
Da kam ich zufällig mit dem Fahrrad vorbei! Das Hundespiel fiel mir nur aufgrund der vielen Leute auf, die sich an der Stelle versammelt hatten. Also holte ich meine Kamera heraus. Meine Videokamera habe ich immer dabei.
"City Scene" ist also ein Dokumentarfilm?
Für mich ist es kein richtiger Dokumentarfilm, obwohl ich dokumentarische Mittel benutze. Ursprünglich habe ich den Film produziert, weil man Kurzfilme leicht bei Filmfestivals unterbringen kann. Erst später haben sich Kuratoren dafür interessiert.
Arbeiten Sie mit Schauspielern?
Nein, ich mache schon Dokumentarfilme immer im wahren Sinne.
Und haben daher viel Zeit draußen mit der Kamera verbracht?
Ehrlich gesagt hatte ich nie vor, diesen Film zu machen. Es war nicht so, dass ich die Idee hatte und dann angefangen habe zu filmen. "City Scene" ist anders entstanden. Ich hatte über einige Jahre hinweg viele Tapes für verschiedene andere Projekte aufgenommen. Beim Schneiden dieser Filme stieß ich dann immer wieder auf diese merkwürdigen Szenen. Irgendwann dachte ich, dass es interessant sein könnte, sie zusammenzustellen. Daraus hat sich dann der Film ergeben. Die Szenen entsprechen meinem Gefühl für Beijing. Als ich einmal damit begonnen hatte, den Film zu schneiden, erinnerte ich mich an weitere Szenen, an das ganze Material, das ich über acht Jahre hinweg aufgenommen hatte. Man kann in einem Monat unmöglich so viele seltsame Situationen finden! Manchmal bin ich etwas besorgt, ein westliches Publikum könnte denken, Beijing sei tatsächlich so wie im Video.
Spielt der Westen für Sie bei Ihrer Arbeit eine Rolle?
Nicht wirklich. Aber ich möchte nicht, dass Ausländer meinen, in Beijing sei es gefährlich. Ich nehme eben diese verrückten Szenen auf. Mein Film entspricht nicht dem realen Beijing, aber meinen echten Gefühlen für die Stadt.
Wie kommt es, dass Sie immer zu wissen scheinen, wann Sie die Kamera anschalten müssen?
Nein, man kann diese Situationen nicht vorhersehen. Erinnern Sie sich an die komische Szene, in der sich zwei Typen unten auf der Straße mit Steinen bewerfen: Den Streit habe ich vor einigen Jahren im Frühling von meinem Wohnungsfenster aus aufgenommen. Eigentlich wollte ich vorbeifliegende Plastiktüten filmen. Nur als ich den Abriss eines Hauses gefilmt habe, hatte ich schon vorher in den Nachrichten gehört, dass es gesprengt werden sollte. Aber leider kam ich zu spät. Also habe ich meine Kamera aufgestellt und die Männer bei der Arbeit gefilmt. Auf einmal kippte der Rest des Gebäudes auf sie zu!
Also arbeiten Sie sehr mit dem Prinzip des Zufalls?
Eine Freundin von mir, auch eine Filmemacherin, hat die Porträts einiger alter Männer aufgenommen. Und die starben dann immer wenig später. Ich habe zu ihr gesagt: Du bist eine Alte-Männer-Mörderin! Frag mich nie, ob du meinen Vater filmen kannst, das würde ihn umbringen! So viel zu Zufällen.
Welche Rolle spielt eigentlich Gewalt für Sie? In nicht wenigen Szenen gibt es ja handgreifliche Auseinandersetzungen?
Für mich bedeutet Gewalt auch Glück. Ich kämpfe oft mit Leuten. Ich bin zwar dünn, werde aber schnell wütend. Zum Beispiel wenn ich Auto fahre. Ich habe oft negative Gedanken und sehe nicht nur die guten Dinge in der Gesellschaft. Als ich die Gewaltszenen gefilmt habe, war ich ziemlich jung. Mein Punkfreund und ich sind oft in diesen klobigen, überdimensionierten Schuhen auf Partys gegangen. Wir haben uns auf der Straße rumgetrieben, haben Bier getrunken, Fleischspieße gegessen und zugesehen wie sich die Leute am Nebentisch in die Haare kriegten. Ich treffe eigentlich immer auf Gewalt.
Haben Sie eine Ahnung, woher diese Gewalt kommt?
Die Regierung schert sich nicht um die Leute. In China kann man sich schnell mit jemand anderem prügeln, das geht einfach. Die Leute fangen schnell an, sich zu beschimpfen. Das haben sie in den letzten sechzig Jahren gelernt. Als ich jung war, haben wir uns immer mit anderen geprügelt. Schon in der Schule war das so. Außerhalb des Schultors wurde es gefährlich. Wir gingen nie allein, sondern nur in Gruppen nach Hause. Wir hatten nicht nur Bücher, sondern auch ein Messer oder eine Kette dabei.
Es ist also kein neues Phänomen?
Nein. Die Schulzeit hatte aber auch etwas Komisches, denn alle Jungen trugen grüne Schulkleidung, grün wie die Armeeuniformen. Im Gymnasium gab es dann blaue Schuluniformen, blau wie die Polizei. Wir nannten das "bar lan" und "bar lu" - die "blaue" und die "grüne Periode".
Gerieten Sie beim Filmen jemals in Schwierigkeiten?
Nein, ich bin sehr vorsichtig und renne schnell weg. Mein Vater sagte immer zu mir: Du kannst alles machen, aber mische dich nicht in Politik ein. Ich meine, ich berühre schon politische Themen, aber eher marginal, nebenbei. Also, ich mache schon politische Dokumentarfilme, zum Beispiel meinen Film über die Leute aus der Provinz, die nach Beijing kommen, um endlich Gehör für ihre Beschwerden zu finden, wie es eine spezielle Parteiinstanz verspricht. Diese Menschen und ihre Situation kennenzulernen, war eine für mich bedrückende Erfahrung.
Sehen Sie sich mit dem Medium Video als Außenseiter? Schließlich dominiert die Malerei die Museumsausstellungen und den westlichen wie den sich gerade entwickelnden chinesischen Kunstmarkt.
Es gibt schon einige Künstler in China, die mit Video arbeiten. Sicher wird mehr Malerei gezeigt, weil sie sich besser verkauft. Gerade heute habe ich in ein paar Berliner Galerien chinesische Malerei gesehen.
Stichwort Berlin: Haben Sie hier auch eine "City Scene" gefunden, also gefilmt?
Nicht in Berlin, in Hannover. Vor acht Jahren war ich dorthin zu einem Kurzfilmfestival eingeladen. Es gab einen Wettbewerb, für den jeder Filmemacher einen einminütigen Film machen sollte. Also habe ich eine kleine Kamera auf meinem Kopf befestigt und bin mit dem Fahrrad durch die Stadt gefahren. Nach ein paar Tagen fiel mir eine runde Sitzbank um einen Baum auf, auf der ein Betrunkener schlief, tagsüber und nachts. Ich bin mit dem Fahrrad um ihn herumgefahren und habe diese Nacht- und Tagaufnahme dann zu einem Kurzfilm montiert.
Bestimmt wurden Sie jetzt in Deutschland auch nach der Situation in Tibet gefragt?
Ja. Aber wenn ich die Frage höre, ob ich die Unabhängigkeit Tibets unterstütze, dann kann ich sie nicht beantworten. Meiner Meinung nach verhält es sich wie bei einer Familie. Wenn der Vater kein guter Vater ist, muss ich gehen. So war es auch mit Taiwan. Vielleicht ist das kein gutes Beispiel. Aber für mich sind die Lehrer die Väter und das Volk ist die Familie. Wenn wir eine gute Gesellschaft schaffen, können wir zufrieden leben.
In der Familie bedeutet Gewalt aber nicht Glück?
Nein, in der Familie ist sie ein Unglück.
INTERVIEW: VERA TOLLMANN UND KITO NEDO
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“