piwik no script img

Chinesische Dissidentin verschwundenFrau "Tiananmen 2.0"

Seitdem ihr Ehemann, der Menschenrechtsaktivist Hu Jia, 2007 festgenommen wurde, stand seine Frau Jinyan Zeng unter Hausarrest. Seit Donnerstag ist sie verschwunden.

Zeng Jinyan (l.) mit der Mutter ihres Mannes Hu Jia nach dem Gerichtsurteil 2007. Bild: ap

Wie ein Kind auf dem Schulweg sieht die junge Chinesin aus, als sie mit ihrem großen Rucksack und dem rosa T-Shirt, die Haare zum Pferdeschwanz gebunden aus dem Eingang des Pekinger Häuserblocks Freedom City tritt. Sie geht Richtung Straße, da versperren ihr drei große Männer in schwarz den Weg und wollen sie am Weitergehen hindern. Doch Zeng Jinyan lässt sich nicht beirren. Sie kennt das Spiel seit Wochen.

Es ist Sommer 2006 und die 22-jährige Zeng auf dem täglichen Weg zur Arbeit in einer Innenausstattungsfirma. Dort verdient sie das Geld, das ihr und ihrem Mann Hu Jia ihren Einsatz für Menschenrechte und gegen die Verdrängung des Themas Aids in China ermöglicht. Zu der Zeit steht ihr Ehemann unter Hausarrest. Er filmt die Szene aus dem Fenster ihrer Wohnung.

Zwischen Juli 2006 und Februar 2007 hält er mit der Videokamera fest, wie seine Frau bei jedem Verlassen des Hauses von zwei Autos und acht Sicherheitspolizisten verfolgt wird, was sie stoisch erträgt. Nur einmal hält sie ein Pappschild vor die Windschutzscheibe ihrer ungewollten Begleiter. "Schämt euch, eine Frau so zu beleidigen" steht darauf. Die damals entstandene halbstündige Dokumentation Hu Jias mit dem Titel "Prisoners in Freedom City" ist auf dem Videoportal YouTube zu sehen.

Seitdem ihr Ehemann im Dezember 2007 festgenommen und im April zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, stand Zeng selbst unter Hausarrest. Seit letztem Donnerstag, also einem Tag vor der Eröffnung der Olympischen Spiele, ist sie verschwunden. Gemeinsam mit ihrer einjährigen Tocher Qianci soll sie von der Polizei zum Verlassen der Stadt gezwungen worden sein. Die Behörden hätten wohl Angst, sie könne mit der ausländischen Presse in Kontakt treten, berichtet die Menschenrechtsorganisation Chinese Human Rights Defenders. Genauere Informationen über den Verbleib der Frau gibt es aber nicht.

Bekannt wurde sie durch ihren Blog, in dem sie von den Repressalien der Polizei gegenüber ihrer Familie berichtet. Als "Tiananmen 2.0" wurde ihre Arbeit bezeichnet, das Time Magazine zählte sie 2007 zu den 100 einflussreichsten Personen der Welt in der Kategorie "Helden und Pioniere". Obwohl Überwachung und Drangsalierungen infolge der Berichterstattung in ihrem Blog noch verschärft wurden, habe sie sich nicht einschüchtern lassen und somit einer internationalen Öffentlichkeit einen Einblick in die Vorgehensweise der chinesischen Staatsmacht gewährt, heißt es in der Begründung.

Der letzte Eintrag in ihrem Blog ist vom 29. Juli. Bis zu diesem Tag schrieb sie fast täglich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!