"China Channel Firefox": Chinesische Zensurerfahrung

Mit einer kleinen Zusatzsoftware für den Browser Firefox kann jeder erleben, wie sich das Online-Leben im Reich der Mitte anfühlt: Sie leitet die Surfsitzung über China um.

Einmal zensieren, bitte. Bild: screenshot/chinachannel

Eine "große Firewall" umschließt China: Das Land, in dem inzwischen mehr Internet-Benutzer leben als irgendwo sonst auf der Welt, leistet sich eine Zensurmaschinerie, die der Regierung unangenehme Informationen jederzeit blockieren kann. Spezialbehörden überwachen Online-Publikationen und lassen sie nur nach Genehmigung zu; viele Web-Firmen und Medien üben darüber hinaus Selbstzensur. Den Rest der Kontrolle erledigt eine moderne Blockadetechnik, die basierend auf Adresslisten und so genannten Wortfiltern Online-Angebote dynamisch unterdrücken kann - auch ganz neue Angebote werden so erfasst.

Wer einmal erleben möchte, was es heißt, in China im Web unterwegs zu sein, kann das nun auch aus westlichen Ländern leicht testen. Der Netzkünstler Aram Bartholl hat zusammen mit internationalen Kollegen eine Erweiterung für den populären Browser Firefox geschrieben, die den Nutzer hinter die große Firewall blicken lässt. "China Channel Firefox" (CCFF) genannt, erlaubt die Software einen "unvergesslichen virtuellen Trip nach China, um die technische Expertise des chinesischen Ministeriums für Informationsindustrie zu erleben", wie es in der Selbstbeschreibung heißt. Nicht unerwähnt lässt Bartholl dabei, dass die in dem Land verwendete Filtertechnik nicht nur hausgemacht aus dem Reich der Mitte stammt, sondern auch von einigen großen westlichen Firmen kommt, die ihre Technologie in das Land exportieren und dabei gutes Geld verdienen.

CCFF, das in einer Vorabversion vorliegt, funktioniert ganz einfach: Man lädt sich die Software von Bartholls Seite herunter und installiert sie mit wenigen Mausklicks. Dann kann man seinen Surftrip auf Wunsch ins chinesische Internet verlagern - eine Menüauswahl und man erhält mit Hilfe eines zwischengeschalteten Rechners, einem so genannten Proxy, eine chinesische Internet-Protokoll-Adresse (IP). Sollte die Verbindung einmal stocken, was aufgrund der weiten Verbindungswege ab und an vorkommt, klickt man einfach ein zweites Mal, um sich eine weitere IP direkt aus dem chinesischen Festland zuweisen zu lassen.

Ein Ausflug mit CCFF zeigt, wie der Alltag der chinesischen Nutzer aussieht. Die normale Google-Suche wird immer wieder blockiert, dafür muss man mit "Google.cn", einem "den lokalen Bedingungen angepassten" Angebot leben, in dem kritische Themen ausgeblendet werden. Websites großer westlicher Medien wie der BBC oder von CNN funktionieren an manchen Tagen, an manchen wieder nicht. Hat das gesuchte Thema mit innerchinesischen Problembereichen wie dem Unabhängigkeitskampf Tibets oder dem Konflikt mit Taiwan zu tun, wird dynamisch blockiert - so kann man etwa die Seite zum Platz des himmlischen Friedens auf Wikipedia nicht aufrufen. Die Homepage des Dalai Lama ist gar nicht zu erreichen, "Verbindung unterbrochen" erscheint. Bei manchen Angeboten haben sich die chinesischen Zensoren zudem eine den Nutzer sehr störende Taktik überlegt: Ruft man sie auf, funktioniert das nicht, doch auch die Internet-Verbindung wird anschließend für einige Minuten komplett unterbrochen. Offenbar soll das dazu führen, dass man kritische Bereiche des Netzes erst gar nicht aufruft.

Die Debatte über Internet-Zensur in China kocht in den westlichen Ländern immer wieder einmal hoch - zuletzt im Zusammenhang mit der journalistischen Berichterstattung von den olympischen Spielen in Peking, als selbst die ausländische Presse mit zensierten Netzinformationen Vorlieb nehmen musste, was ihre Arbeit teilweise deutlich beeinträchtigte. Die tägliche Nutzererfahrung der chinesischen Netzbewohner wird aber gerne vergessen; wie sie aussieht, zeigt nun CCFF. Netzkünstler Bartholl präsentiert sein Projekt auch öffentlich - noch bis zum 4. November ist bei den Videotagen in Hong Kong eine Installation zu sehen, die den direkten Vergleich ermöglicht. Die Darstellung erfolgt an einem Rechner mit zwei Anzeigeflächen: Bildschirm 1 zeigt das Netz aus der Perspektive des weniger kontrollierten Hong Konger Internet, während man auf Bildschirm 2 die offizielle chinesische Zensur erleben kann.

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