22. bis 26. April 2025
Chemnitz und Erzgebirge
mit Michael Bartsch, taz-Korrespondent in Sachsen
Von der erfolgreichen Bewerbung um die „Kulturhauptstadt Europas 2025“ erhoffen sich Chemnitz und die Erzgebirgsregion eine Korrektur des Negativimages und eine Hinwendung auf ihre Stärken. Wir verfolgen Spuren dieser einst starken Bergbau- und Industrieregion, beschäftigen uns mit der sozio-ökonomischen Dynamik seit der Wende, besuchen Kulturhauptstadtprojekte und treffen zivilgesellschaftliche Initiativen des Kampfes gegen Rechts.
Themen der Reise
Im 1990 wiedergegründeten Freistaat hingen die erlösungsbedürftigen Sachsen an den Lippen ihres zurückgekehrten „Geenichs“ Kurt Biedenkopf. Der erste Ministerpräsident nach der Wende beschwor die ruhmreiche Vergangenheit Sachsens und die übermenschlichen Fähigkeiten seiner Einwohner. Chemnitz beispielsweise wurde ausgangs des 19. Jahrhunderts als „Sächsisches Manchester“ bezeichnet. Das Pro-Kopf-Einkommen soll das höchste im Kaiserreich gewesen sein.
Die Vision einer wieder auferstehenden Stadt erstand. Der von den Deutschen angezettelte zweite Weltkrieg hatte das Stadtbild zerstört, vor allem der alliierte Luftangriff vom 5. März 1945 nahm Chemnitz das Zentrum und kostete 2 100 Menschen das Leben. Sozialistische Kasernenbauten in der zu DDR-Zeiten Karl-Marx-Stadt genannten Stadt vermochten keine Harmonie mehr herzustellen. Mit der radikalen Einführung der kapitalistischen Konkurrenzwirtschaft nach der Währungsunion 1990 verlor das wieder zurückbenannte Chemnitz dann auch noch die letzten Stützen seiner einst prägenden Industrie.
Aktivitäten
Vermutlich tat sich auch deshalb die damals allein regierende CDU so schwer, die erste sächsische Landesausstellung der Industriekultur zu widmen, wie es SPD und PDS forderten. Man zog sich 1998 lieber frömmelnd ins sorbenländische Kloster Marienstern zurück. Es dauerte bis ins Jahr 2020, ehe die vierte Landesausstellung unter dem reißerischen Titel „Boom“ endlich 500 Jahre sächsischen Industriekultur wieder entdeckte.
Ihr Zentrum lag in Zwickau, sechs dezentrale Schauplatzausstellungen zeigten einen repräsentativen Querschnitt. Keine reine Geisterbeschwörung ingenieurtechnischer Großtaten vom ersten „Berggeschrey“ im Silberbergbau im Jahr 1168 an, sondern eine vorbildliche Verknüpfung industriellen Aufschwungs und Niedergangs mit seinen kulturprägenden Auswirkungen.
Auch die taz-Reise folgt diesem Grundgedanken. Wir sehen die Spuren und erfahren von den Schwankungen industrieller und handwerklicher Produktion und von der Rolle des damit verbundenen materiellen Wohlstands im Bewusstsein der Einwohner.
Und wir beobachten die Wechselwirkung mit regionaler Volkskultur und Kunst, die Entstehung von Mentalitäten. Wenn man so will ein Exkurs in die ebenso gelobte wie belächelte sächsische Identität oder in Identitätskonstruktionen, die oft der Kompensation wirtschaftlicher Schwierigkeiten dienten.
Eine Stadt wie Chemnitz, aus nördlicher Richtung betrachtet das Tor zum Westerzgebirge, spielt dabei genauso wie diese Mittelgebirgs-„Pultscholle“ eine maßgebliche Rolle. Der jahrhundertelang in kleinen Variationen populäre Spruch „Was in Chemnitz erarbeitet wird, wird in Leipzig gehandelt und in Dresden verprasst“ belegt die Abhängigkeit nicht nur des Dresdner Fürstenhofes von den Quellen des Reichtums. Er kann auch als Indiz für den hartnäckigen, wenn auch durch die Geschichte strapazierten Stolz der Erzgebirger gelten.
Beim genauen Hinhören werden wir dabei auf typische kollektive Traumata stoßen, wie sie andere Regionen zwischen Aufschwung und Depression auch kennen. Bei den Sachsen ist der Widerspruch zwischen hohem Selbstanspruch, ja dem Nimbus eines auserwählten Volkes, und den vielen militärischen Niederlagen und Gebietsverlusten bei starken Sympathien für heilsversprechende autoritär-diktatorische Systeme besonders ausgeprägt.
Die Landesausstellung 2020 hatte den Bergaltar in der Annenkirche Annaberg zum Leitmotiv erkoren. Die größte spätgotische Hallenkirche Sachsens kann als „Leitkirche des Erzgebirges“ gelten. Die alte sächsische Spruchweisheit „Alles kommt vom Berge her!“ findet sich hier in den Altarmotiven des Sakralraumes gespiegelt. Die realistische Darstellung der Bergknappen und ihres Werkzeugs weist auf den Anbruch einer industriellen Epoche hin, auf ein neues Verhältnis zwischen Wissenschaft, Ingenieurskunst und Glauben.
Der erste Reisetag führt deshalb von Chemnitz auf der B95 nach Süden Richtung Annaberg-Buchholz. Die Erlebnisführung durch das Besucherbergwerk Ehrenfriedersdorf soll einen Eindruck von den harten Bedingungen unter Tage bei der Zinnerzgewinnung vermitteln. Die Bezeichnung „Erzgebirge“ sagt es schon: Vom Freiberger Raum an bis hinauf in diese Hochlagen dominierte der Erzabbau, angefangen vom kostbaren Silber bis zum Uranerz für sowjetische Atomkraftwerke und Atombomben. Die Attribute des Bergbaus transformierten die Bewohner in eine mittlerweile weltweit verbreitete Weihnachtskultur, also Schwibbögen, Pyramiden, Räuchermänner. Längst auch ein Erwerbszweig im „Weihnachtsland“.
In komprimierter Form kann man das anschließend bei einem Rundgang durch die heimliche Erzgebirgshauptstadt Annaberg-Buchholz erfahren. Im Erzgebirgsmuseum leuchtet im Wortsinn die ebenso anheimelnde wie abgeschottete Mentalität der Bergbewohner auf. Das Industriedenkmal des Frohnauer Hammers erinnert dann wieder an die technischen Grundlagen.
Um diese geht es auch am zentralen Chemnitz-Tag. Einen Querschnitt können wir am zentralen Standort des Verbundes Sächsisches Industriemuseum studieren und mit ihm die Mühe, die man sich mit einer Backstein-Industriearchitektur in dieser alten Gießerei einst gegeben hat. Nicht nur Eisenbahnfreunden dürfte das Herz im kilometerweit ausgedehnten Rangierbahnhof Chemnitz-Hilbersdorf höher schlagen. Leckerbissen sind ausgestellte historische Wagen und Triebzüge wie der legendäre „Vindobona“.
Vor allem soll dieser und voraussichtlich der Schlusstag auf den aktuellen Anlass hinweisen, der den Zwillingscharakter von Industrie und Kultur trifft. Für ein Jahr wird Chemnitz 2025 bekanntlich den Titel „Kulturhauptstadt Europas“ tragen. Mit Genugtuung und Begeisterung wurde 2020 empfunden, dass sich die Stadt mit dem ambivalenten Image gegen die deutschen Mitbewerber durchsetzen konnte. Ein Rundgang, geführt von einem Experten, wird uns zu Stadtentwicklungsprojekten, Ausstellungen und typischen Kulturhauptstadt-Projekten wie den Garagen-Campus im alten Straßenbahndepot führen. Vom gemischten Erscheinungsbild dieser Stadt kann man auf dem Kaßberg etwas erfühlen. Gründerzeit, Jugendstil, DDR-Platte und das Nazi- und Stasigefängnis mit der kürzlich erst eröffneten Gedenkstätte finden sich hier nebeneinander.
Ein Exkursionstag wird an zwei markante Industriestandorte der Region führen. In Zwickau, wo jahrzehntelang der legendäre DDR-Kleinwagen „Trabant“ gebaut wurde, ist es das nicht minder legendäre Audi-Horch-Museum. In Crimmitschau ist die ehemalige Weberei der riesigen Textilfabrik der Gebrüder Pfau noch völlig intakt. Ein kurzer Blick in das nur noch als Gastspielhaus genutzte Theater zeigt, dass sich in fetten Jahren auch eine so kleine Stadt ein Stadttheater leisten konnte.
Leider sind aber Chemnitz oder Zwickau seit den Jahren der Umstrukturierung nach 1990 nicht nur für eine aufstrebende Kulturszene bekannt. Und das Erzgebirge kennt nicht nur die rührende Heimlichkeit der „Hutzenstuben“. Seine Bewohner galten im positiven Sinn als renitent und resilient. Dieser konservativ bis reaktionäre Trotz und der Hang zur Abschottung lassen das Erzgebirge inzwischen als ein Zentrum heimattümelnder Nazis, der Schwurbler, Querdenker und Impfgegner, der Sektenfreunde und Reichsbürger gelten.
An einem der Plauderabende werden wir mit der Diakonie in Stollberg, die über das NetzERZ aufgeklärte, fortschrittliche und demokratische Initiativen zusammenbringt, über die Chancen solcher Arbeit sprechen. In allem Wohlwollen, so, wie gegenüber Chemnitz auch. Das Image, das nach den Krawallen infolge eines Mordes an einem Deutschkubaner 2018 entstand, spiegelt nur eine Seite dieser dynamischen Stadt.
Beginn und Ende der Reise:
Wir treffen uns am Dienstag, den 22. April, um 17 Uhr im B&B Hotel im Zentrum von Chemnitz
Ende der Reise: Samstag, den 26. April, gegen 15 Uhr am Hotel in Chemnitz.
Reiseleiter
Michael Bartsch, Ost-Korrespondent der taz für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen von 2001 bis 2021, als er altersbedingt in die zweite Reihe zurückgetreten ist, aber weiterhin aktiv bleibt.
Geboren 1953 in Meiningen, aufgewachsen in Erfurt, Studium Informationstechnik TU Dresden, ab 1975 Wartungsingenieur Rechenzentrum. Sechs Kinder, nebenberuflich Musiker. Seit 1988 schriftstellerisch tätig.
Ende 1989 über die Bürgerbewegung Wechsel in den Journalistenberuf, ab 1993 freiberuflich für Print und Hörfunk; Politik und Kultur, überregionale Theaterkritik.
Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. „Gedichtband „Die Krähen sammeln sich“ (2000), „System Biedenkopf“ (2002), „Dresden – Kinderstadtführer“ (2015), auch literarische Anthologien, satirisch-blasphemische Weihnachtsgeschichten, zuletzt 2020: „30 Jahre und ein bisschen Waise“ (literarische Texte aus 30 Jahren Einheitsdeutschland).
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