Chemie-Unfall in Ungarn: Eine zweite Giftwelle droht
Weil eine zweite Schlammlawine drohte sich über die Dörfer in Westungarn zu ergießen, wurden die verbliebenen Einwohner des verseuchten Gebiets evakuiert.
![](https://taz.de/picture/294562/14/schlamm_01.20101010-17.jpg)
Eine zweite Schlammlawine droht sich über die bereits verwüsteten Dörfer in Westungarn zu ergießen. Am Samstagmorgen wurden die verbliebenen EinwohnerInnen von Kolontár mit der Nachricht geweckt, sie würden umgehend evakuiert. Nur das Nötigste konnten sie einpacken. Auch für die Kleinstadt Devecser wurden Vorbereitungen zur sofortigen Evakuierung getroffen. Denn die zweite Rotschlammdeponie der Aluminiumhütte MAL AG drohte zu bersten. Bisher hat der Unfall vermutlich acht Todesopfer gefordert.
Ingenieure hatten Risse in den Wänden des Staubeckens festgestellt, Dämpfe traten aus. Etwa eine halbe Million Kubikmeter toxischen Schlamms drückte so vehement gegen die Beckenwände, dass deren Umfang sich binnen Stunden messbar erweiterte. Eine Wiederholung der Katastrophe vom vergangenen Montag schien bevorzustehen. Inzwischen wurde Entwarnung gegeben. Ein unmittelbares Nachgeben der Staumauern wird jetzt nicht mehr für wahrscheinlich gehalten. Verstärkungsmaßnahmen scheinen gewirkt zu haben. Dennoch wird zwischen dem Becken und der Ortschaft Kolontár ein fünf Meter hoher und 400 Meter langer Schutzwall errichtet, der im Fall des Falles eine neue Schlammlawine zumindest bremsen soll. Von Hubschraubern aus überwachen Experten jede Veränderung an dem riesigen Giftschlammbecken.
Etwa 500 EinwohnerInnen aus Kolontár wurden in einem Sportstadion untergebracht. Das verlassene Dorf ist abgesperrt und wird von Polizisten vor Plünderern geschützt. Militärs kümmern sich um das Vieh, das die Bauern zurücklassen mussten. Premier Viktor Orbán wurde am Samstag bereits zum zweiten Mal im Katastrophengebiet vorstellig, um den Obdachlosen zu versichern, dass für alle gesorgt würde. Der plötzliche Aktionismus der Regierung erscheint vielen suspekt.
Die Umweltorganisation Greenpeace, die am Freitag erste Analysen der hohen Arsen- und Quecksilberwerte im Giftschlamm präsentiert hatte, vermisst noch immer eine offizielle Stellungnahme aus Budapest. Greenpeace wirft der Regierung Vertuschung vor, um die Leute zu beruhigen. Und der WWF veröffentlichte am Samstag ein Bild, das zeigt, dass aus Giftbecken der Aluminiumfabrik bereits im Juni durch ein Leck roter Giftschlamm in die Umgebung ausgetreten war. Betreiber und Behörden treffe somit gleichermaßen die Schuld, auf die Warnzeichen nicht reagiert zu haben. Die Katastrophe, so der WWF, hätte verhindert werden können.
Das gab auch Premier Orbán zu: "Meiner Meinung nach müssen menschliche Irrtümer und Fehler hinter dieser Katastrophe stehen." Er versprach die "härtestmöglichen Konsequenzen".
Bevor noch klar ist, ob das Unternehmen oder dessen Versicherung, eine Tochter der Allianz Versicherung, zur Kasse gebeten werden kann, hat die Regierung einen zentralen Katastrophenfonds für die Opfer und die Schadensbeseitigung eingerichtet.
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