: Charité-Kündigung ungültig
■ Kündigung aus formalen Gründen nichtig/ MfS-Verdacht nicht behandelt
Berlin. Das Arbeitsgericht hat die Kündigung des Charité-Professors Jürgen Wenzel aus formalen Gründen für unwirksam erklärt. Dies ist der zweite Fall, bei dem das Arbeitsgericht die Meinung vertrat, ein leitender Arzt der Charité müsse »abberufen« und könne nicht durch die Senatswissenschaftsverwaltung »gekündigt« werden. Die Anwälte Wenzels, Frank Lansnicker und Thomas Schwirtzek, vertraten gestern die Auffassung, ihr Mandant könne sofort wieder an der Charité als Anatom arbeiten. Wenzel war wegen angeblicher Stasi-Tätigkeit im Juli fristlos entlassen worden.
Die Charité zeigte sich verunsichert, was das Urteil vom vergangenen Donnerstag für das Klinikum bedeute. Die ärztliche Leiterin, Ingrid Reisinger, sagte, sie habe noch keine offizielle Mitteilung über den Ausgang des Prozesses. Die Wissenschaftsverwaltung werde über weitere Schritte erst entscheiden, wenn das Urteil schriftlich vorliegt, sagte der Sprecher von Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU), Helmut Lück. Er betonte, daß das Gericht die Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit nicht überprüft habe. Es sei nur um die formale Zulässigkeit der fristlosen Kündigung gegangen.
Lansnicker und Schwirtzek betonten, ihr Mandant sei kein IM gewesen. Die fristlose Kündigung sei auf der Grundlage einer Auskunft der »Gauck-Behörde« ausgesprochen worden. Die Hinweise auf eine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit gründeten sich allerdings nur auf eine Karteikarte, auf der Wenzel als Inoffizieller Mitarbeiter Sicherheit (IMS) mit einem Decknamen geführt worden sein soll. Die Karte könne als Beweis für eine Mitarbeit bei dem Spitzelministerium aber nicht genügen. Es seien ganze Akten über sogenannte IM geführt worden, ohne daß die Betroffenen davon wußten.
Wenzels Anwälte kritisierten auch, daß ihr Mandant nicht angehört worden sei und die Entlassung für den Anatom faktisch ein Berufsverbot bedeute, weil er mit seiner Ausbildung nur in öffentlichen Einrichtungen beschäftigt werden könne. Der Professor könne seine Tätigkeit an der Humboldt-Universität und in der Charité sofort wieder aufnehmen. In der Zwischenzeit hatten Wenzels Studenten Räume in einer Stadtbibliothek besorgt, in denen der Mediziner seit November letzten Jahres unentgeltlich lehrte.
Die Senatswissenschaftsverwaltung habe mit dem Urteil »eine zweite Niederlage in ihrem überzogenen und vorschnellen Bemühen erlitten, die gesamte ärztliche Leitungsebene in der Charité umzustrukturieren«, meinten die beiden Anwälte. dpa
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