Chaos auf Deutschlands Flughäfen: Aschewolke legt Deutschland lahm
Vulkanasche aus Island hat den Luftverkehr größtenteils kollabieren lassen. Züge und Autovermieter erlebten einen Ansturm.
FRANKFURT/BERLIN/KÖLN/HAMBURG taz Die Aschewolke, die seit Donnerstag von Island nach Süden driftet, hat den Flugverkehr in Deutschland weitgehend lahmgelegt. Seit dem frühen Freitagmorgen hängen Tausende von Passagieren auf dem Frankfurter Flughafen fest, die verpflegt und versorgt werden müssen. Der Airport war am Vormittag geschlossen worden. Hauptsächlich vor den Schaltern der Lufthansa formierten sich lange Schlangen. Viele der verhinderten Luftreisenden hatten die Nacht zuvor bereits auf Feldbetten verbracht.
Ötzger Vesil ist einer der Service-Mitarbeiter des Flughafenbetreibers Fraport, er nennt sich "wandelnde Infosäule". Er habe schon einiges erlebt, erinnert sich Vesil, den letzten Pilotenstreik etwa. Der allerdings sei gegen das, was sich jetzt hier abspiele, "ein Klacks". Vesil wird pausenlos von den insgesamt beeindruckend gelassenen Passagiere mit Fragen bestürmt.
"Es geht doch um unsere Sicherheit", sagt eine schon ältere Texanerin etwa bei Kilometer 1,5 in einer der zwei längsten Warteschlangen und zeigt Verständnis. Sie will die Zwangspause auf dem Weg nach Berlin nun dafür nutzen, sich einmal "The Goethehaus" anzuschauen.
Als Oberaufseher für den gesamten europäischen Himmel ist Eurocontrol für die Koordinierung und Sicherheit im Flugverkehr zuständig. Gegründet wurde die Behörde 1960 von sechs europäischen Staaten, darunter auch Deutschland. Heute gehören Eurocontrol, dessen Hauptsitz in Brüssel ist, 38 Mitglieder an. Ziel ist es, den gemeinsamen europäischen Luftraum so effektiv und sicher wie möglich zu verwalten.
Ein wichtiger Arbeitsbereich von Eurocontrol ist dabei auch das Thema Verkehrsfluss. Weil die Zahl der Flüge bis 2030 noch einmal um das doppelte ansteigen soll, wird die Koordinierung der Behörde zufolge zusehends schwieriger. Eurocontrol arbeitet deswegen zum Beispiel ständig an Instrumenten und technischen Möglichkeiten, um Verspätungen oder "Himmels-Staus" zu vermeiden.
Lufthansa-Reisende konnten mit ihren Tickets auch mit der Bahn weiterreisen, mit einem Mietauto aber nur "vielleicht". "Alles eine Frage der Kulanz", sagte eine Sprecherin der Lufthansa. Für die Nacht versprach die Fraport den gestrandeten Passagieren ein weiteres Feldbettlager.
Viele hatten sich für die Bahn entschieden, aber auch sie kamen nicht weit. Schon gegen Mittag stehen bereits gut 500 Reisende fluchend vor dem DB-Reisezentrum im Airport. Ein Geschäftsreisender aus Belgien hatte sich eine Verbindung über Mainz und Köln, weiter über Aachen nach Brüssel herausgesucht, mit viel Umsteigen. In der immer länger werdenden Schlange geht es aber nur im Schneckentempo voran.
Der Belgier hastet daher zu den Autovermietern. Nichts zu machen auch dort. Dort sind alle Autos längst weg. Die Nerven liegen blank, auch bei den Angestellten. Es haben sich Fahrgemeinschaften gebildet, die auf eventuell am Flughafen eintreffende weitere Mietautos warten. Viel Hoffnung machen ihnen die Vermieter nicht. Der Belgier will jetzt mit dem Taxi nach Mainz und dort ein Bahnticket kaufen. Warteschlangen auch an den Taxiständen und kein Fahrzeug in Sicht. Der Belgier gibt auf.
Auch andernorts ist die Bahn oft nur eine theoretische Alternative, in Berlin etwa. Der 43-jährige Davide Ferraro ist ein italienischer Folk-Musiker. Am Abend sollte er in einer Bar in Florenz musizieren. Das muss er jetzt absagen, denn dann wird er immer noch unterwegs sein. Sein Flug wurde genauso wie alle anderen Flüge aus Berlin gestrichen. Eine Alternative hat der Musiker schon gefunden. Die Fluggesellschaft hat ihm einen Bahngutschein angeboten. Mit dem sucht er jetzt am Berliner Hauptbahnhof eine Alternative. Die Frau am Schalter erklärt ihm: Er müsse zuerst mit dem Zug nach München, von dort aus könne er einen Bus nach Florenz erwischen. "Leider können wir das Ticket nur ohne Reservierung vergeben, Sie bekommen also keinen Sitzplatz", sagt die Angestellte.
Dasselbe erfahren auch die anderen Fahrgäste vom Service-Center der Bahn. "Ich muss jetzt sechs Stunden in der Bahn stehen, aber ich hoffe, ich werde dann morgen wieder musizieren", sagt Ferraro. Die Mitarbeiter an den Schaltern am Hauptbahnhof sind überfordert. Hunderte versuchen von hier aus weiterzufahren.
Von Hamburg aus setzt die Bahn AG auf der Strecke nach München einen zusätzlichen ICE ein. Zusätzliches Service-Personal sollte vor allem ausländischen Fahrgästen weiterhelfen, die in Hamburg gestrandet waren. "Am Hauptbahnhof war es voll", sagte Bahn-Sprecher Egbert Meyer-Lovis. "Wir hatten deutlich mehr Reisende im Zentrum und ausgelastete Fernzüge."
Eine "extrem hohe Nachfrage" vermeldet der Autovermieter Avis am Hamburger Flughafen. "Die Lage ist fatal. Die Kunden geben ihre Autos alle anderswo als geplant zurück. Alles läuft durcheinander. Wir nehmen hier nur noch Einzelschicksale an", so eine Mitarbeiterin der Airport-Filiale. Für gestrandete Fluggäste, die ins Ausland weiterreisen möchten, gibt es aufgrund der Logistikprobleme gar keine Autos mehr.
Am Hannoveraner Flughafen hat sich die Lage am Freitagnachmittag entspannt. "Die Fluggäste haben sich gut informiert und wurden von den Fluggesellschaften und Reiseanbietern in den umliegenden Hotels untergebracht", berichtet ein Sprecher des Flughafens.
Obwohl auch der Kölner Airport am Freitag sämtliche Flüge annullieren muss, bleibt dort das befürchtete Chaos aus. Zwar tummeln sich viele Menschen im Hauptbahnhof, in der Eingangshalle und auf den Bahnsteigen ist es voll. Aber überfüllt sind sie nicht. Auch die Zugverspätungen halten sich am Knotenpunkt Köln erstaunlich in Grenzen. Die Geschäfte im Bahnhof freuen sich über einen erhöhten Umsatz. "So viel ist hier sonst kurz vor Weihnachten los", frohlockt ein Verkäufer der Bahnhofsbuchhandlung.
Die Lage an den Flughäfen in Europa wird sich nach Vorhersagen der Flugsicherheitsbehörde Eurocontrol auch am Samstag vorerst nicht entspannen. Die Aschewolke werde sich über Europa ausbreiten und deutlich größere Teile überdecken als am Freitag, teilten die Luftsicherheitsexperten in Brüssel mit. "Eine Entspannung ist nicht in Sicht", sagte der Chef der Luftraumüberwachung bei Eurocontrol, Brian Flynn. Nach Einschätzung des Deutschen Wetterdienstes (DWD) wird der gesamte deutsche Luftraum mindestens bis Samstagabend gesperrt bleiben. KPK,AO,SR,PB
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