Changemaker*innen: Das Piano der Veränderung

Hanni Liang ist eine begnadete Pianistin, 26 Jahre jung, sehr klug. Sie spielt aber nicht nur hinreißende Konzerte, sie leitet auch ein gemeinnütziges Künstlerprojekt.

»Was würden Sie gern verändern?« Hanni Liang auf dem Hamburger Universitätscampus. Bild: Anja Weber

Von DANA GIESECKE

Ein klassisches Klavierkonzert. Das Publikum hat Platz genommen. Eine grazile Frau betritt die Bühne. Hanni Liang verbeugt sich, nimmt Platz, konzentriert sich und dann beginnen ihre Hände schwungvoll und brillant Töne zu erzeugen. Die Zuhörer lehnen sich zurück und denken offenbar, es sei alles wie immer. Zeit, in Passivität zu versinken. Doch nach einer Minute hört die Pianistin abrupt auf. Stille. Kleine Bewegungen unter den Gästen, einige räuspern sich.

Äh? Eine Notfallübung? Ein Krisenexperiment?

Liang erhebt sich, stellt sich neben ihren Flügel und fragt: „»Was würden Sie gern verändern?« Wieder Stille. Einer jungen Frau scheint einzufallen, dass sie Musik einmal mit jeder Faser ihres Körpers hören wollte, jedenfalls legt sie sich unter den gewaltigen Flügel. Verunsicherung und Zweifel bei den anderen. Liang nickt der jungen Frau zu und lächelt aufmunternd. Nun werden Stühle gerückt und um den Flügel gestellt. Die Distanz zwischen Musikerin und Auditorium hebt sich auf.

Dieser Beitrag stammt aus

taz FUTURZWEI N°11

Liang will die Gesellschaft verändern

Liang, jetzt mittendrin in der verunsicherten Gesellschaft, scheint zufrieden. Sie setzt das Spiel fort: Variations sérieuses von Felix Mendelssohn. Nur ekstatisch in die Tasten hauen, nur verzückt amüsieren oder entrückt beruhigen – das will sie nicht. Sie will Gesellschaft verändern, Wirkung entfalten, mit dem was sie tut und innerhalb ihrer Handlungsspielräume.

Hanni Liang wurde in Bielefeld geboren und ist in Düsseldorf aufgewachsen. Ihre Eltern sind 1989 aus China nach Deutschland gekommen, um zu studieren. Die Mutter ist Germanistin geworden, der Vater Grafikdesigner. Liang sollte bereits mit vier Jahren eine frühkindliche Musikerziehung erfahren, doch sie hat die Flöte schnell in die Ecke geworfen. Mit acht war sie bereit, das Klavier als ihr Instrument zu wählen und wurde während ihrer Schulzeit bereits Jungstudentin an der Musikhochschule. Und obwohl sie später schon für Jura zugelassen war, entschied sie sich für ein Klavierstudium und kombinierte es mit Medienmanagement in Hannover.

Schließlich sei es, so stets die Angst der Eltern, verdammt schwer, von Musik allein zu leben. 2013 nahm Hanni Liang an einem Musikwettbewerb des Hamburger Kulturprojektes TONALi teil. Zwar gewann sie nicht den Preis, dafür aber neue Freunde und die Einsicht, dass in Musik echtes Zukunftspotenzial stecken kann. Zwei Jahre später, in einer Sinnkrise, klopfte sie erneut an die Hamburger Tür. Mit Boris Matchin und Amadeus Templeton gründete Liang 2016 das gemeinnützige Projekt TONALiSTEN, eine Vereinigung der ehemaligen TONALi-Musiker zu einem Forum. Die TONALiSTEN initiieren Veranstaltungen und vermitteln junge Künstlerinnen und Künstler an andere Kulturinstitutionen, ohne gegenseitige Abhängigkeit zu erzeugen.

Die transformatorische Kraft der Musik

Mehr Mensch, mehr Musik, mehr kulturelles Leben.

Mittlerweile seien die TONALiSTEN zu einer Bewegung junger Musikerinnen und Musiker geworden, die sich zum Ziel gesetzt hat, mehr gesellschaftliche Relevanz zu erzeugen, sagt Liang lächelnd, denn das ist genau in ihrem Sinne.

Oft würden Musikerinnen und Musiker nur auf Erfolg konditioniert, zur Selbstoptimierung und zum rücksichtslosen Wettbewerb gedrängt – und stets durch Ungewissheit, Druck und Angst innerhalb solch künstlerischer Karrieren angetrieben. Ein resonanzfreies Streben nach Perfektion, ohne etwas von der realen Welt und den aktuellen Problemen mitzubekommen. »Antrainierte Isolation«, beschreibt es Liang, »in einer Zelle ohne Kontakt zur Außenwelt soll man von morgens bis abends üben.«

Fehlerfrei solle man interpretieren und der Star von morgen werden.

Musik in alle Bereiche der Gesellschaft bringen

Liang selbst war auf dem besten Wege die Liang Liang zu werden, denn sie gewann sehr viele Preise, machte Tourneen in China, Russland und Italien und gastierte mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und Franz Liszts erstem Klavierkonzert in der Elbphilharmonie sowie zum dritten Mal in Folge beim Klavier-Festival Ruhr. Zwischen 30 und 50 Konzerte gibt sie im Jahr. »Aber ich habe begriffen, wie glücklich es macht, gesellschaftsrelevante Impulse zu setzen, Austausch zu schaffen und Menschen in Dialog zu bringen.« Besonders auf junge Leute hat es Liang abgesehen und auf Menschen, die noch nie einen Zugang zur oder Berührung mit Musik hatten. Liang weist auf die transformatorische Kraft der Musik hin und findet es ärgerlich, dass deren Rolle in gesellschaftspolitischen Veränderungsprozessen noch immer marginalisiert werde. Musik gehöre vor allem dorthin, wo die Gesellschaft ist: in Krankenhäuser, in Schulen, in Kinderheime oder in Gefängnisse und nicht ausschließlich an klassische Orte des Konzertes.

Und das Publikum? Das soll sich nicht nur eine Konzertkarte kaufen, in den Saal setzen und konsumieren, sondern sich mit der künstlerischen Aussage auseinandersetzen. Nicht nur Töne und Harmonien als angenehm und schön empfinden, sondern sich emotional und körperlich von der Musik gefangen nehmen und involvieren lassen. »Seitdem ich merke, dass ich mit Musik Veränderung und Initiative bewirke, fühle ich mich erfüllt«, sagt Liang.

Vor zwei Jahren ist sie Mutter geworden. Lachen und Lebensfreude gibt sie nun an ihren Sohn Jascha weiter. Der spielt noch kein Instrument, sondern lediglich mit viel Sand. Am Abend, wenn Jascha schläft, geht Liang in den TONALi-Saal, wo ihr Flügel steht. Dort spielt sie täglich drei bis vier Stunden die Zukunft und trainiert dabei den Transformationsmove.

Mehr Informationen unter www.tonalisten.com und www.tonali.de.

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