■ Chancen und Risiken der Invasion: Testfall Somalia
Die nunmehr begonnene Intervention in Somalia ist zum Erfolg verurteilt. Nicht wegen der angeblich zu Hunderttausenden auf dem Spiel stehenden Menschenleben, die ansonsten dem Hungertod ausgeliefert wären – Hilfsorganisationen sind sich einig, daß die UNO-Angaben über massive Plünderungen von Lebensmitteln übertrieben sind –, sondern weil bei einem Scheitern so viel auf dem Spiel steht.
Zum einen haben bereits die Vorbereitungen zur Intervention einen entscheidenden politischen Impuls zur Lösung der somalischen Krise gegeben. Was schon Anfang 1991, beim Sturz des Diktators Siad Barre hätte passieren sollen – nämlich internationale Vermittlungsversuche zwischen den verfeindeten politischen Führern Somalias –, wurde in den vergangenen Tagen Realität. Dies ist zu begrüßen, und die beteiligten Staaten sind nun in der Pflicht, die Neuschaffung eines somalischen Staates bis zum Ende zu unterstützen.
Die zweite Dimension des Einsatzes ist darin zu sehen, daß Somalia einen Testfall darstellt – nicht nur für das Bestreben des UNO-Generalsekretärs Butros Ghali, mit UNO-Eingreiftruppen weltweit Konflikte zu lösen, sondern auch für das Umdenken in Militärkreisen der USA. Das Pentagon betrachtet Somalia als Versuchsterrain für die neue Militärdoktrin des sub-conventional warfare, also die Nutzung militärischer Kapazitäten für friedenschaffende Zwecke. Der gewählte Präsident Clinton sieht eine Zeit gekommen, in der Innen- und Außenpolitik sich vermischen und zivile Komponenten Eingang in militärstrategische Überlegungen finden sollten. Sollte der Testfall Somalia scheitern, wäre ein Rückfall in einen rein militärischen Interventionismus zu befürchten.
Dies ist jedoch davon abhängig, daß die dritte Dimension der Intervention nicht vergessen wird: die der Bedürfnisse und Erwartungen in Somalia selbst. Das Land befindet sich in der weltweit einmaligen Situation, daß kein Krieg mehr herrscht, aber auch kein Sieger feststeht, und daß durch die massiven ausländischen Lieferungen eine künstliche Schattenökonomie herangezüchtet worden ist, die auf dem Handel mit Lebensmittelhilfe und dem Geschäftemachen mit Hilfsorganisationen gründet. Sie zu überwinden und eine Wirtschaftsordnung zu schaffen, die diesen Namen verdient, braucht mehr als militärische Macht. Es bedarf einer Strategie, die die vielen vom Geschäft mit der Hilfe lebenden Somaliern wieder mit den vielen brachliegenden wirtschaftlichen Kapazitäten des Landes – vom Fischfang bis zu Fabriken – zusammenführt. Nur dies kann die langfristige Akzeptanz ausländischer Einmischung bei den Somaliern herstellen, ohne die ein Erfolg der politischen Lösungsversuche undenkbar ist. Dominic Johnson
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