Chancen für grünen Verfassungsrichter

■ Berlin bekommt vielleicht bald den ersten alternativen Verfassungsrichter Deutschlands/ Abgeordnetenhaus entscheidet am Donnerstag/ Auch die Koalitionäre von CDU und SPD schließen eine solche Nominierung nicht aus

Berlin. In Berlin amtiert vielleicht bald der erste grün-alternative Verfassungsrichter Deutschlands. Wenn das Berliner Abgeordnetenhaus am Donnerstag die neun Richter für den neuzuschaffenden Landesverfassungsgerichtshof wählt, hat auch ein AL-Kandidat Chancen: der 43 Jahre alte Sozialrichter Johann Müller-Gazurek. Die Alternativen hatten ihn am Dienstag in vertraulicher Sitzung als ihren Kandidaten bestimmt, und in den Regierungsfraktionen hält man es immerhin für »denkbar«, daß auch Oppositionsvertreter mit auf die Richterbank genommen werden. Gerade angesichts der großen Koalition lege man darauf »großen Wert«, sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Helmut Fechner gestern zur taz. Auch die CDU werde diesen Vorschlag »prüfen«, sagte ihr Fraktionsgeschäftsführer Klaus Rettel gestern. Auch eine Wahl von Müller-Gazurek wollte er nicht ausschließen.

Zumindest eine Oppositionspartei müssen SPD und CDU mit ins Boot nehmen. Das Gesetz verlangt für jeden einzelnen Richter eine Dreiviertelmehrheit im Landesparlament. Darüber verfügen die Koalitionsparteien nur, wenn sie die FDP oder die AL oder beide auf ihre Seite ziehen. Es sei durchaus denkbar, heißt es in der CDU, daß man sich lediglich mit der FDP einige.

Müller-Gazurek ist seit 1980 Richter am Sozialgericht. Nach eigenen Worten ist er den »gemäßigten Linken innerhalb der AL« zuzurechnen. Von 1987 bis 1988 war er Mitglied im Bundesvorstand der Grünen, zuvor zwei Jahre lang im Geschäftsführenden Ausschuß der AL.

Während die PDS bisher darauf verzichtet hat, einen eigenen Kandidaten zu benennen, will die FDP ihren Alt-Vorsitzenden und Ex-Justizsenator Hermann Oxfort ins Rennen schicken. Bei der SPD stehen noch keine Namen fest, doch der Rechtsanwalt Ehrhart Körting ist seit langem im Gespräch. Für die CDU wird auf jeden Fall der Abgeordnete und Rechtsanwalt Klaus Finkelnburg kandidieren. Das im letzten Sommer verabschiedete Gesetz für die Bildung eines Verfassungsgerichts verlangt daneben, daß unter den neun Richtern mindestens drei Frauen sein müssen. Eine Ostler-Quote gibt es nicht. Helmut Fechner, der selbst aus Ost-Berlin kommt, hält das auch nicht für sinnvoll. Ostberliner sollten nur dort eingesetzt werden, »wo Kompetenz da ist«.

Die AL-Fraktionsvorsitzende Renate Künast forderte gestern in einem offenen Brief an die Fraktionschefs von CDU und SPD eine angemessene Berücksichtigung der Opposition bei der Besetzung verschiedener Gremien. SPD und CDU hätten eine Stärkung der Rechte der Opposition versprochen, erinnerte Künast. Trotzdem seien der Richter-Wahlunterausschuß und der Lottobeirat »unter Ausschluß der Opposition« besetzt worden. hmt