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Cem Özdemirs historische Chance Bauerntheater

Die Art Landwirtschaft, für die die Bauern mit ihren Traktoren derzeit das öffentliche Leben drangsalieren, hat keine Zukunft mehr. Ein Gegenentwurf.

Aus der Deckung und in die Offensive? Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Özdemir Foto: picture alliance/dpa/Monika Skolimowskapicture alliance/dpa/Monika Skolimowska

taz FUTURZWEI | Die Landwirtschaft hat keine Zukunft mehr, für die die Bauern mit ihren Traktoren derzeit das öffentliche Leben drangsalieren, um den Diesel für ihre CO2-Schleudern weiter aus den öffentlichen Haushalten bezahlt zu bekommen. Diese konventionelle Produktion wird zu großen Teilen nur noch durch Subventionen, vor allem aus der EU – 49 Prozent des gesamten EU-Haushaltes sind Agrarsubventionen – und nationale Vergünstigungen am Leben gehalten.

Im Jahr 1950 gab es zwei Millionen landwirtschaftliche Betriebe, 2017 waren es noch 217.000. Dieser Strukturwandel, weg von kleinen Betrieben mit nur wenigen Hektar Ackerfläche und wenigen Tieren, hin zu mittelgroßen Familienbetrieben um die 100 Hektar und einem größeren Tierbesatz wurde vom „Grünen Plan“ gegenfinanziert. Die so erfolgreich erhöhte Produktivität führt zu hoher, nicht am Markt absetzbarer, Überproduktion der übrig gebliebenen Betriebe. Deshalb wurde von 1984 bis 2015 EU-weit Milch zu Garantiepreisen aufgekauft – zu Lasten der öffentlichen Haushalte. Die so entstandenen „Butterberge“ wurden meist mit großen Verlusten in die Welt weiterverkauft oder verschenkt. Den weiteren Strukturwandel der Landwirtschaft zu größeren Betrieben hat diese Politik nicht aufgehalten. Nur mit größeren Betrieben konnte die Produktivität weiter erhöht, deren Wettbewerbsfähigkeit vorübergehend gesichert werden.

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Keine Übernahme ökologischer Verantwortung

Der Preis dieser subventionierten Wettbewerbsfähigkeit war und ist der exzessive Einsatz von Unkrautvernichtungsmitteln und anderen Düngemitteln. Mit der Folge, dass zum Beispiel der Eintrag von Umweltgiften aus der Landwirtschaft über die Vorfluter in die Ostsee kommt, dort das Algenwachstum steigert, den ohnehin niedrigen Sauerstoffgehalt reduziert und so direkt das Leben in der Ostsee, insbesondere das der Fische, unmöglich macht. Die konventionellen Großbetriebe haben bis heute alle Versuche blockiert, ökologische Verantwortung in ihre sogenannte gute fachliche Praxis zu integrieren. Massentierhaltung gehört deshalb bis heute zu ihrem Alltag.

An ihrer Haltung hat sich auch durch das Beispiel des erst freiwilligen und dann mäßig geförderten Umstellens von Betrieben auf den ökologischen Landbau nichts geändert. Der ökologische Landbau gilt vielen Konventionellen nach wie vor als ideologische Spinnerei. Trotzdem ist die Produktion von ökologischen Lebensmitteln und ihre Vermarktung in den Bioläden eine Erfolgsgeschichte. Sie ist aber bis heute Nischenproduktion für die aufklärte grüne Mittelschicht geblieben. Hier wird weiter von der Überlegenheit von Kleinbetrieben geträumt, weil nur die, angeblich, Gewähr für echtes Bio bieten könnten. Bio für alle aber, weil es grundsätzlich gesünder ist, weil es besser schmeckt und in ökologischer Verantwortung für die Umwelt produziert wird, gibt es bis heute nicht. Bio in den Regalen der Discounter ist nach wie vor nicht mehr als Greenwashing und für den Massenkonsum auch dort zu teuer.

Preise für landwirtschaftliche Flächen steigen ungebremst

Mit der Wiedervereinigung hat die konventionelle Landwirtschaft einen stabilisierenden Schub bekommen. Die aus den LPG der DDR hervorgegangenen Großbetriebe bewirtschaften zwischen zwei- und viertausend Hektar. Sie gehören in der Regel den ehemaligen LPG-Vorsitzenden. Sie sind die größten Landwirtschaftsbetriebe in der EU. Mit ihren Produkten sind sie weltmarktfähig, arbeiten kapitalintensiv, hoch technisiert, nach neuestem wissenschaftlichem Wissen. Subventionen sind für sie ein willkommenes Zubrot. Nach 40 Jahren Erfolgsgeschichten finden viele diese Betriebe aber nun keine Nachfolger. Die Agrar-Unternehmer verkaufen ihre Betriebe deshalb an Finanzinvestoren oder direkt an die große Ernährungswirtschaft. Folge ist, dass die Preise für landwirtschaftliche Flächen ungebremst steigen. Allen übrigen Landwirten, auch denen, die schon ökologisch wirtschaften, wird damit jede Chance auf Vergrößerung ihrer Betriebe verstellt. Von der weiteren Entwertung der sozialen Lebenszusammenhänge in den ländlichen Räumen mal ganz abgesehen.

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Die aktuellen Demonstrationen sind vor diesen – hier nur grob beschriebenen – Zusammenhängen populistisches Bauerntheater. An der Klärung der Frage, wie eine ökologisch verantwortliche, betriebswirtschaftlich erfolgreiche Zukunft der Landwirtschaft aussehen könnte, die einen wesentlichen Beitrag zur gesunden Ernährung aller Bürger leistet, zeigen sie kein Interesse. Sie krakeelen mit ihren Signalhörnern herum, um den Status quo zu erhalten.

Die Landwirtschaft der Zulunft setzt auf Digitalisierung und KI

Der Bauer der Zukunft wird in seinem Großbetrieb, wenn er als selbstständiger Unternehmer eine ökonomische und ökologische Zukunft haben will, mit kapitalintensiver Technik arbeiten, die auf Digitalisierung und KI aufsetzt. Er braucht nur wenig, dafür aber hochqualifiziertes Personal. Seine Bodenbearbeitung wird er präzise an die jeweiligen natürlichen Gegebenheiten und Anforderungen für die Bodenerhaltung und weitgehend ohne künstlichen Dünger durchführen. Er setzt selbstfahrende Maschinen ein, die mit Wasserstoff oder Strom aus Batterien betrieben werden, den er mit Wind oder Photovoltaik auf eigenen Flächen selbst herstellt. Er produziert grundsätzlich und ausschließlich in Bio-Qualität. Seine Arbeit ist so organisiert, dass die Biodiversität gesichert wird. Durch einen hohen CO2-Preis werden bei Importen aus dem Ausland die dort weiter konventionell hergestellten und subventionierten Produkte vom Markt verdrängt. Der Staat sorgt durch den Einsatz von Bioprodukten in allen öffentlichen Betriebsküchen zusätzlich für gesicherten Absatz. Eine ökologisch verantwortliche, am Tierwohl ausgerichtete Tierhaltung gehört zum Konzept. Alle heutigen Agrarsubventionen werden eingestellt. Sie werden durch eine zeitlich begrenzte Übergangshilfe ersetzt.

Ein solches Programm eines grünen, technologieaffinen, ökologischen Aufbruchs der deutschen Landwirtschaft ins 21. Jahrhundert könnte wettbewerbsfähige Strukturen in den ländlichen Räumen im nachfossilen Zeitalter herstellen. Es könnte den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft insgesamt komplettieren. Für den grünen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir ist das eine historische Chance. Eigentlich.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für das Magazin taz FUTURZWEI.