Castrof-Opernabend in der Berliner Volksbühne: Broilerregen und Apokalypse
Musik & Moral gehen gut zusammen in der Volksbühne - die Kunst sieht altbacken aus. Erste Suchbewegungen nach Kräften der Erneuerung am Haus nehmen sich die 20er Jahre vor.
"Dreams for sale", prangt in großen Lettern auf dem Western-Saloon auf der Hinterbühne. Und wahrlich, vor seiner Pforte findet ein Ausverkauf statt: Frank Castorf hat Bertolt Brechts Lehrstücke "Der Jasager und der Neinsager", die er vor anderthalb Jahren schon einmal für eine Brechtnacht angeprobt hat, aus dem Fundus geholt und als Schuloper zu Ende inszeniert. Jetzt brüllt sich Bernhard Schütz als belehrender Lehrer eine rote Birne, sein Schüler (Maximilian Speck) steht bleich, aber gefasst daneben, Anna Kratzky und Ruth Rosenfeld erörtern singend, ob es nun besser ist, sich für die Gruppe zu opfern oder nicht, und Andreas Deinert filmt mit der Videokamera. Das alles zusammen lässt sich auch kurz als Castorf-Magerquark bezeichnen.
Letzte Ausfahrt Oper: Nach dieser Devise haben der Intendant und seine neue Chefdramaturgin Gabriele Gysi die aktuelle Spielzeit an der dauerkriselnden Volksbühne konzipiert. Der Projektabend "Opernzeit - Zeitopern" mit fünf Kurzopern machte soeben den Auftakt; Robert Schumanns "Faust" im Dezember (Regie Sebastian Baumgarten), Puccinis "Tosca" und Brecht/Eislers "Maßnahme" sollen folgen. Sein eigenes, an Brecht geschultes Musikverständnis hat Castorf vor zwei Jahren mit seiner "Meistersinger"-Inszenierung vorgeführt: Natürlich geht Oper auch ohne Profisänger, mit Acht-Mann-Orchester und einem Chor, in dem Bühnentechniker und Kantinenwirt singen! Doch ist Castorf so wirklich "auf dem besten Weg, sein Theater zum vierten Opernhaus Berlins zu machen", wie Alexander Kluge kühn im Programmbuch vermutet?
Sicher, irgendeine Ausfahrt muss die Volksbühne nehmen. Denn im 17. Jahr seiner Intendanz droht es leer zu werden um den 56-jährigen Autokraten, den man so langsam getrost als Altmeister bezeichnen kann. Schlingensief inszeniert nicht mehr, kein Marthaler steht auf dem Programm. Publikumslieblinge wie die Schauspieler Herbert Fritsch, Martin Wuttke oder Henry Hübchen haben das Ensemble verlassen oder wollen nicht besetzt werden. Jüngere Regisseure fehlen. Die Dramaturgin Stefanie Carp wechselte zurück zu den Wiener Festwochen, und der langjährige Hausintellektuelle Carl Hegemann nahm den Hut.
Stattdessen soll nun Gabriele Gysi den Hausherrn und Exfreund zur Ordnung rufen. "Der wollte auf einmal immer Diskurstheater machen", begründete Castorf die Trennung von Hegemann kürzlich im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Dass die Volksbühne auch dafür stand, war sicher nicht ihr schlechtestes Aushängeschild und hat ein szeniges, zum Schluss nicht mehr ganz so junges Mitte-Publikum angezogen.
Am Kurzopernabend steht deftig linke Kost aus den 1920er-Jahren auf dem Programm; die Theorie hat es mit Brecht, Adorno, Kluge zumindest häppchenweise ins Programmbuch geschafft. Kleinteilige Abende wie dieser hatten an der Volksbühne oft Happening-Charakter; hier aber herrscht gedämpfte Beerdigungsatmosphäre. Die jungen Opernregisseure Michael von zur Mühlen und Thorsten Cölle knöpfen sich zwei Teile von Karl Amadeus Hartmanns satirischem "Wachsfigurenkabinett" (1928-30) vor, in denen Amerika, Auto- und Unterhaltungsindustrie böse sind, Büroarbeit Papa zum Monster macht und Arbeitslose gehängt werden. Zwar sind auch die gastweise engagierten Sänger jung, aber die harmlose Trash-Ästhetik der beiden Hanns-Eisler-Absolventen am Regiepult sieht ziemlich alt aus.
Thorsten Cölle trägt ordentlich Zivilisationskritik auf, wenn er fahrlässig Spaß habende Strandurlauber in einem Meer aus 500 Plastikbroilern waten und ungerührt einer Hinrichtung zuschauen lässt. Noch schwerer hat es die Kleinfamilie bei dem Regisseur von zur Mühlen. Sie wird dank Irina Kastrinidis (als Tochter Gladis) unmissverständlich zur Familienhölle. Denn Castorfs aktuelle Muse nutzt auch diese Rolle zu markerschütterndem Schreien und Papa verführendem Röckchen-Lüpfen.
Intelligenter Lichtblick ist Alban Bergs "Wozzeck", den Regisseur David Marton in ein intimes Tonstudio verlegt, das Bert Neumann in den dritten Volksbühnenstock gebaut hat. Hier wird die Oper unter der kundigen Leitung von Sir Henry, dem schon unzählige Castorfabende ihren Sound verdanken, zunächst gedämpft geprobt, während aus der Konserve minimalistische Arbeitsatmosphäre, musikalische Spielereien mit Geräuschen und Berg-Fragmenten eingespielt werden. Wozzeck tobt in seiner Verzweiflung unhörbar hinter der Glasscheibe, während davor lauter Radiotalk alle Gefühle zerredet. Doch dann verlieben sich Schauspieler Max Hopp (Wozzeck) und die Jazzdiva Jelena Kuljic (Marie), die Operngefühle schwappen in ihre Bühnenwirklichkeit und münden in einen grandios pathetischen Liebesmord ohne Tote.
Marton saß schon bei den "Meistersingern" am Klavier; seine eigenen Arbeiten hat er jedoch bislang in den Berliner Sophiensaelen und am Maxim Gorki Theater inszeniert. Vielleicht fängt Castorf ja jetzt doch noch mit der Nachwuchsförderung an. Er hat noch Zeit bis 2013, so lange geht sein Vertrag.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!