■ Cash & Crash: Der Schweinezyklus
Nach langen Jahren des Preisverfalls können sich seit Anfang des Jahres endlich einmal die Rohstoff-Produzenten über höhere Verkaufserlöse freuen: Die Notierungen an den Börsen von Chicago, London und Singapur klettern von Jahreshoch zu Jahreshoch. Bei Nichteisen-Metallen (Aluminium, Nickel), bei Agrarrohstoffen (Baumwolle, Wolle und Kautschuk) sowie bei Kaffee, Kakao, Zucker, Reis, Getreide und Sojaöl: überall sind die Preise in den ersten vier Monaten deutlich geklettert, im Durchschnitt um 14 Prozent. Schon fürchten Marktbeobachter aus der reichen Welt einen Inflationsschub.
Schuld daran, daß die erste Welt nicht mehr ganz so billig ans Rohmaterial kommt, ist ein altes Phänomen: der Schweinezyklus. Er wurde schon zur letzten Jahrhundertwende beobachtet, als sich das Angebot von Schweinefleisch erst mit elfmonatiger Verzögerung erhöhte, obwohl die Nachfrage schon längst zugenommen hatte. Die Verzögerung im Schweinezyklus betrug elf Monate: Trächtigkeitsdauer der Sauen von drei Monaten, drei Wochen und drei Tagen plus sechs bis sieben Monate Mastzeit. Innerhalb dieser elf Monate stiegen die Preise dramatisch.
Bei den Rohstoffen haben die Hersteller in den vergangenen zwei Jahren ihre Produktion zurückgefahren und damit einen alten Teufelskreis durchbrochen: Seit den 70er Jahren waren die Rohstoffpreise stetig gesunken, weil die Anbieter den sinkenden Verkaufserlösen mit einer mengenmäßigen Ausweitung zu begegnen suchten. Beim Kaffee beispielsweise haben die Produzentenländer letztes Jahr umgeschaltet und Exportquoten vereinbart. Jetzt registriert die Rohstoff-Arbeitsgruppe der europäischen Konjunkturforschungsinstitute schwindende Vorräte in den Speichern der Industrieländer und prognostiziert steigende Preise.
Bei den Industrierohstoffen (Metalle, Kautschuk) führt nicht nur das Ende der Weltrezession zur sprunghaft gestiegenen Nachfrage, sondern auch die neue Gier der Schwellenländer nach den Ausgangsstoffen der Industrieproduktion. Daß die Rohstoff-Lieferantenländer nun ebenfalls einen Aufschwung erleben, bleibt trotzdem unwahrscheinlich. Der von der Rohstoff-Arbeitsgruppe erwartete Preisanstieg von neun Prozent wird gerade mal den Einbruch des Jahres 1993 wettmachen. Und der Gesamtindex aller Rohstoffpreise, den das HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung Hamburg errechnet hat, wird trotz der erwarteten Preissteigerungen Ende 1995 noch deutlich unter dem Index von vor zehn Jahren liegen. Nahrungs-Rohstoffe wie Kaffee dümpeln dann gerade auf dem Niveau von 1975. Außerdem rechnen die Händler an den Rohstoffbörsen fest mit der Vollendung des Schweinezyklusses: der neuerlichen Ausweitung der Produktion angesichts steigender Weltmarkt- Preise. Donata Riedel
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