■ Cash & Crash: Zickige Währung, kahler Kopf
Die Stirnglatze, die sich bei Gianni Voltan zeigt, hat nach Ansicht ihres Besitzers nur einen einzigen Grund: „Dieses dauernde Rätselraten, was nun wieder passieren wird.“ Schlaflose Nächte hat der Valutaexperte der Banca di Roma, und nicht nur er: Aus dem fernen Rom klingeln ihn schon mal um zwei Uhr nachts Kollegen aus Mailand an, auch aus Neapel oder dem Gebirgsnest Sezze Romano seien schon solche Anrufe erfolgt, und alle, alle „wollen wissen, wo die Lira morgen steht“. Doch trotz Haareraufens kann der italienische Wirtschaftsexperte die Frage auch nicht beantworten: „Ja, wo steht sie morgen? Ich weiß es nicht.“
Gianni Voltan ist so ratlos wie alle seine italienischen Kollegen. Irgendwelche Parameter, nach denen die Kapriolen der italienischen Währung erfolgen, gibt es längst nicht mehr. Auch die „eindeutigen Ursachen“, die die Nationalbank, die Notenbankgouverneure der Europäischen Union oder die Finanzminister der G-7-Gruppe ausgemacht haben, können es nicht sein: Auch nach der Beseitigung dieser Ursachen dauert der Fall der Lira an.
Seit Italien im Herbst 1992 aus der Europäischen Währungsschlange ausgetreten ist, hat sich der Wert der Lira halbiert – gab es vor gut zwei Jahren noch 635 Lira pro Mark, sind es mittlerweile 1270.
Zunächst vermuteten die Experten in erstaunlicher Einigkeit die übliche Ursachen-Kombination: Das Haushaltsdefizit der Regierung sei zu hoch, die Verschuldung exorbitant. Außerdem sei die satte Inflationsrate ein zusätzlicher Grund für den rasanten Verfall der italienischen Währung.
Die Technokraten-Regierung des früheren Notenbankchefs Carlo Azeglio Ciampi reagierte darauf wie befohlen: Sie konsolidierte den Haushalt, reduzierte die Verschuldung und drückte die Inflation auf unter vier Prozent. Doch Anfang 1994, als Regierungschef Ciampi abtrat, stand die Lira bei gut 900 für eine Mark.
Der Chor der Experten hatte da einen weiteren Vorschlag: Italien brauche eine dauerhafte Regierung, wenn möglich etwas autoritär, bitte schön, um die Gewerkschaften kleinzuhalten. Die Wähler taten wie geheißen: Silvio Berlusconi im Verein mit den Neofaschisten und den radikalen Ligen Oberitaliens wurde Regierungschef.
Daraufhin fiel die Lira gleich mal auf 1.050 pro Mark. Und obwohl es Berlusconi gelang, den nächsten Haushalt – erstmals seit dreißig Jahren – gar vor Jahresende zu verabschieden, ging es mit der italienischen Währung weiter abwärts: 1.150. Lamberto Dini, früher sogar Generaldirektor der Nationalbank, sollte nach Berlusconi das Kunststück steigender Lira-Kurse vollbringen. Nach zwei Wochen sank die Lira auf 1.250.
Ausländische Geschäftemacher, die man verdächtigte, winken ab: Keiner hat mehr Lira, die er noch verkaufen könnte. Inländische Spekulanten? Das müßte man freilich an geplünderten Sparbüchern oder dem Verkauf von Wertpapieren merken. Aber nichts da.
Bleibt nur die Antwort, die sich mittlerweile auch Gianni Voltan zurechtgelegt hat: „Dieses Miststück, die Lira, führt einfach ein Eigenleben. Irgendjemand hat sie mit einer Seele versehen, und nun macht sie, was sie will.“
So wird's denn wohl sein. Werner Raith
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