■ Cash & Crash: Weihnachtsmann Juppé
Berlin (taz) – Vorweihnachtliche Ruhe ist allüberall an den Börsen eingekehrt. Wer nicht muß, handelt schon gar nicht mehr mit Aktien, Anleihen oder Devisen. Und wer wollte denn auch den Frieden der Adventszeit mit risikoreichen Geschäften aufs Spiel setzen. So gäbe es an dieser Stelle womöglich gar nichts zu berichten – wenn da nicht Alain Juppé wäre. Gibt er nach? Gibt er nicht nach? Das bewegt derzeit zumindest an der Pariser Börse die Händler und Anleger und damit auch die Kurse.
Ins Wochenende gingen die Börsianer noch mit beruhigtem Gefühl: Der französische Premierminister schien allen Anfeindungen zum Trotz nicht zu wackeln und nicht zu wanken. Strikter Sparkurs, keine Kompromisse mit den Streikenden – das mögen die Anleger. Und vielleicht senkt die französische Notenbank ja gar bald die Zinsen. So chaotisch die Verhältnisse auf den Pariser Straßen, so friedlich die Stimmung an der Börse. Die Kurse zogen, wenn auch nur zart, an. Hätte der vielgehaßte Juppé ein paar Streicheleinheiten gesucht, ein Besuch an der Börse wäre genau das Richtige gewesen.
Dann kam die Enttäuschung. Am Sonntag abend gab Juppé im Fernsehen ein Interview, und auf einmal schien er gar nicht mehr so fest zu seinen Ankündigungen zu stehen. Die Verabschiedung des Fünfjahresplans für die Eisenbahn will er verschieben, die Kommission, die die Pensionsregelung für den öffentlichen Dienst reformieren soll, setzt ihre Arbeit aus, und Lokführer dürfen weiterhin mit fünfzig in den Ruhestand gehen.
Lange Gesichter bei den Anlegern. Noch schlimmer, der Premier zeigte sich gesprächsbereit. „Er zögerte nicht einmal, das Tabuwort ,Verhandlungen‘ zu benutzen“, grollte ein Mitarbeiter einer Investmentfirma. Tatsächlich traf Juppé gestern mit den Gewerkschaftsführern zusammen. Der Börsenindex CAC-40 knickte am Montag erneut ein, der Franc verlor an Boden, und auch die Anleihenkurse rutschten. „Der kleinste Fauxpas trägt das Risiko schwerster Sanktionen in sich“, unkten Börsenhändler.
Aber gestern ging es schon wieder aufwärts. Den Absturz des Börsenindex von fast 2.000 Punkten in der ersten Novemberhälfte, also bevor der Streik losging, auf unter 1.780 vor einer Woche ist ohnehin aufgehalten. Gestern hatte sich der CAC-40 um die Mittagszeit um rund zehn auf 1858,72 Punkte erholt, und auch der Franc übersprang wieder die 29-Pfennig-Marke.
Börsianer glauben eben an ihren Juppé wie an den Weihnachtsmann. Die Rute wird er den Streikenden geben, waren sie gestern doch wieder überzeugt. Und sein Geschenk an die Märkte wird die Eindämmung des Haushaltsdefizits sein, durch die sich Frankreich für die europäische Währungsunion qualifiziert. Nicola Liebert
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