■ Cash & Crash: Pyrrhussieg der Londoner Börsenmanager
Die Londoner City steckt in der Krise. Während die Bank von England nach wie vor Vertrauen erweckt, wackeln die anderen beiden Säulen der Finanzquadratmeile in der britischen Hauptstadt bedenklich. Der Lloyds-Versicherungsmarkt kämpft seit Jahren ums Überleben, und nun ist auch die Börse ins Gerede gekommen.
In der vergangenen Woche schmiß man dort den Geschäftsführer Michael Lawrence überraschend raus. Dabei hatte er erst vor zwei Jahren das Amt übernommen, nachdem sein Vorgänger Peter Rawlins den Hut nehmen mußte, weil er das Computersystem „Taurus“ eingeführt hatte. Mit umgerechnet hundert Millionen Mark lag „Taurus“ nicht nur weit über dem Kostenvoranschlag, sondern funktionierte obendrein gar nicht.
Bei Lawrence' Hinauswurf spielten eine Reihe von Gründen eine Rolle: Er hatte sich zuerst mit dem Finanzministerium über die Aktienemission der privatisierten Stromgesellschaft und dann mit der Aufsichtsbehörde über die Freigabe interner Börseninformationen gestritten. Was ihm jedoch letztendlich das Genick gebrochen hat, ist die geplante Anpassung der Londoner Börse an internationale Gepflogenheiten. So sollten An- und Verkäufe von Aktien ab August über ein zentralisiertes System abgewickelt werden, weil das billiger und transparenter ist – und nicht mehr wie bisher über kursfeststellende Firmen. Lawrence' Pech war, daß eben diese Firmen die meisten Vorstandsmitglieder der Börse stellen und über die Modernisierungspläne nicht gerade begeistert waren. So drohte man der Bank von England, der die Börse untersteht, daß man sein Kapital abziehen werde, falls Lawrence nicht geschaßt würde.
Ob die Drahtzieher sich dadurch am Ende nicht selbst geschadet haben, bleibt abzuwarten. Die Modernisierung der Börse wird sich nicht ewig verschieben lassen, und nun ist darüber hinaus auch der Ruf schwer angeschlagen. Im Herbst war bereits Rudi Müller vom Schweizer Bankhaus UBS aus dem Vorstand ausgetreten, weil „die Londoner Börse mit den Neuerungen auf anderen europäischen Märkten nicht schrittgehalten“ habe.
London ist nach New York und Tokio der drittgrößte Aktienmarkt der Welt. 85 Prozent des europäischen Aktienhandels laufen über die Londoner Börse. Die ehrenwerte Institution trägt erheblich zu den Deviseneinnahmen der City bei. Dort befürchtet man nun, daß durch die Krise der Bypass nach Frankfurt oder Paris ein Stück nähergerückt ist. Ralf Sotscheck
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