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Carl Zeiss hat sich im Osten verrechnet

■ Zeiss-Jena lastet auf Zeiss West schwerer als erwartet/ Zusammenbruch des Osteuropamarktes vom Vorstand nicht vorausgesehen/ Kräftiger Ertragseinbruch im laufenden Geschäftsjahr erwartet

Frankfurt/Main (ap/dpa/taz) — Die Carl-Zeiss-Stiftung mit ihren beiden Produktionstöchtern Schott Glaswerke (Mainz) und Carl Zeiss (Oberkochen) hat sich bei der „Rückkehr“ in die Ex-DDR völlig verrechnet. Mit der Übernahme ihrer Jenaer Schwesterfirmen haben sich die Unternehmen der westdeutschen Carl-Zeiss-Stiftung eine schwerere Last aufgebürdet als erwartet. Das berichteten die Vorstandssprecher der Schott Glaswerke und des Konzerns Carl Zeiss auf ihrer Bilanzpressekonferenz am Mittwoch abend in Frankfurt am Main.

Die Bilanz der Carl-Zeiss-Gruppe wurde vom neuen Vorstandssprecher Jobst Herrmann vorgestellt, der ohne vorherige Ankündigung an Stelle des bisherigen 65jährigen Vorstandschefs Horst Skoludek an die Öffentlichkeit trat. Vorstandssprecher von Schott bleibt Wolfgang Adolphs. „Wir haben nicht mit dem Totalzusammenbruch der Ostmärkte gerechnet“, brachte Jobst Hermann die Fehlkalkulation auf den Punkt. Die beiden hochrenommierten Jenaer Unternehmen verfügten nicht nur über eine gut ausgebildete Belegschaft, sondern auch innerhalb des Ostblocks über gesicherte Absatzkanäle bei Industrie, Medizin, Wissenschaft und Militär. „In DDR-Zeiten erreichte das Ostgeschäft der Jenaer Glaswerke 60 Prozent, jetzt ist es völlig zusammengefallen“, sagte Adolphs. Kurzabeit Null und Aufräumarbeiten für die Inbetriebnahme neuer Produktionen sind bei Zeiss Jena Alltag, der Auftragseingang tendiert „nahezu gegen null“, schildert Hermann die Situation.

Das Land Thüringen trägt einen Teil der Verluste

Die Oberkochener hatten im vergangenen Jahr nach langem Tauziehen eine Mehrheitsbeteiligung an ihrer ostdeutschen Schwesterfirma Carl Zeiss Jena erworben, während die Mainzer 51 Prozent der Jenaer Glaswerk erwarben. Die volle Übernahme soll jeweils bis 1996 beziehungsweise 1994 erfolgen. Die restlichen Anteile an den Jenaer Unternehmen hält das Land Thüringen; bei der Carl Zeiss Jena geschieht dies über die in Landesbesitz befindliche Jenoptik, deren Vorstandsvorsitz der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth (CDU) innehat.

Die Schott Glaswerke und Carl Zeiss sind die zwei Stammunternehmen der im baden-württembergischen Heidenheim angesiedelten, nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten Carl-Zeiss-Stiftung, deren verschachtelter und stark exportorientierter Konzern inzwischen insgesamt 79 Beteiligungsgesellschaften umfaßt. Der Schwerpunkt der Konzerntätigkeit liegt in der Herstellung von optischem Präzisionsgerät.

Auch im Westen läuft das Geschäft in der Schott- und in der Zeiss- Gruppe in vielen Unternehmensbereichen nicht nach Wunsch. Die Konjunkturschwäche in wichtigen Absatzregionen, die weltweit knappen öffentlichen Mittel für Medizinforschung und Wissenschaft sowie die schrumpfenden Rüstungshaushalte sorgen für schleppende Aufträge. In beiden Firmengruppen wird im laufenden Geschäftsjahr 1991/92 (30. September) nur mit einem Umsatzzuwachs von zwei Prozent bei verringerten Gewinnen gerechnet. Das Personal soll deshalb im Inland über Fluktuation und Vorruhestandsregelungen um etwa fünf Prozent abgebaut werden. In der ersten Hälfte des laufenden Geschäftsjahres lagen Auftragseingang und Umsatz bei Carl Zeiss und Schott real leicht unter dem Vorjahresniveau.

Weltweit 32.383 Beschäftigte

Im Ende September abgelaufenen Geschäftsjahr war der Weltumsatz beider gleich umsatzstarken Stiftungsunternehmen bei sehr unterschiedlicher Entwicklung der verschiedenen Geschäftsfelder auf 4,6 Milliarden Mark gestiegen; der Jahresüberschuß übertraf das Vorjahresergebnis mit 78 Millionen Mark um rund 18 Millionen, wobei der Gewinn vor Ertragsteuern mit 155 Millionen Mark dem Vorjahreswert entsprach. Dem Konzern gehörten Ende September weltweit 32.383 Beschäftigte an.

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