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■ CannescannesDie Leinwand schwitzt Blut

Karl IX. schwitzt Blut in einer der längsten Agonien des Kinos. In kleinen glänzend roten Perlen tritt es aus ihm heraus. Man hat ihm Gift gegeben. „Wer war das“, fragt ihn Margot. Mit letzten Kräften stemmt er sich hoch, umklammert ihren Nacken, rötet ihr weißes Kleid. „C'était maman“, flüstert er ihr ins Ohr. Es war allerdings ein Versehen, eigentlich wollte Katharina von Medici – die schwarze Witwe, die Frau mit der Stirnglatze – Heinrich von Navarra vergiften, nicht ihren Sohn.

Patrice Chéreaus „La reine Margot“: transpiratives Kino, kalt schwitzend, schwer atmend, die Kamera fanatisch, immer mitten im Getümmel. Ständig berühren sich die Akteure, lieben sich im Stehen, schneiden sich die Hälse durch. Dann das Massaker: „Wieviele“, hatte Katharina gefragt, als die königliche Familie den Plan zur Bartholomäusnacht faßte. „Elf“, sagte der Herzog von Guise, „vierzehn“, sagte der Herzog von Anjou, „alle“, sagte der König. Viertausend Protestanten werden in der Nacht geschlachtet. Die Kamera immer vor Ort, hingestreckte Leiber im Seitenblick, unfaßbare Greuel im Vorübergehen. Ein historisches Ereignis wird aktuell. Es zeigt eine Säuberung, die soviel oder -wenig wie in Jugoslawien „religiös“ oder „ethnisch“ ist. Erzählt wird vom Triumph des Partikularen, der Konfession über das Universale. Keine Hoffnung auf Politik als Versöhnung der Gegensätze, wie sie sich doch in der verordneten Hochzeit der Katholikin Margot mit dem Protestanten Heinrich von Navarra anzudeuten schien.

Die Gewalt zeigt Chéreau allerdings nicht in jenem liebevoll ausmalenden Gestus, der in Hollywood zur Zeit Mode ist. Heftigkeit wäre das treffendere Wort für diesen Film: Chéreau, der Theaterregisseur, sucht ein körperliches Kino. „Wenn ich Filme mache“, sagt er in einem Interview, „dann, um mich den Körpern anzunähern und jene physische Dichte zu erreichen, die das Theater nicht geben kann. Wenn ,La reine Margot‘ von nahem gefilmt ist, dann, weil ich keine Lust hatte, mich von den Schauspielern zu entfernen. Zwanzig Jahre lang war ich sehr weit weg von ihnen, ich im Parkett, sie da oben auf der Bühne wie auf einer Estrade. Jetzt will ich bei ihnen sein, mitten unter ihnen.“

Chéreau will, daß die Leinwand Blut schwitzt, daß „Es“ aus ihr heraustritt. Auch in „Der verführte Mann“ oder „Das Fleisch der Orchidee“ begab sich die Kamera mitten ins Geschehen. Immer wurde viel geschwitzt bei Chéreau. Bei „La reine Margot“ kommt allerdings noch die historische Dimension hinzu, der Zuschauer muß eine größere Distanz überwinden. Vielleicht fragt man sich darum, ob Chéreau nicht aus übergroßer Liebe zum Kino forciert. „Ich weiß jetzt, daß ich zum Kino gehöre, nicht zum Theater“, sagt er. Aber dieses Funkeln der Blicke, das Gestikulieren: ist nicht gerade das gefilmtes Theater? Gibt es eine Rampe von der Leinwand ins Parkett? Oder muß man die Unüberschreitbarkeit der von ihr gesetzten Grenze akzeptieren, wenn man ein „körperliches“ Kino will? Chereau würde sich über diese Fragen schwarz ärgern. Und sie lassen sich in den zwei Stunden nach dem ersten Sehen kaum beantworten.

Aber eins ist klar: Chéreau liebt die Schauspieler wie kaum ein anderer. Jean-Hugues Anglade ist ein wunderbar dekadenter Karl IX., Virna Lisi eine unglaublich finstere, aber nie überzeichnete Katharina, Isabelle Adjani (39) spielt eine Neunzehnjährige, und man glaubt es ihr! Und ich verpasse wegen dieses Artikels ihre Pressekonferenz. Aus Cannes Thierry Chervel

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