■ Cannescannes: Der kurze Ruhm
„Blau“, „Weiß“, „Rot“, Kieslowski ist in Not. Eine kurze Geschichte: Ich erinnere mich noch an die Vorführung von „Zufall“, hier in Cannes 1987 – ein „Tresorfilm“ von 1981 und eine tiefschwarze politische Parabel. Die taz berichtete als einzige Zeitung, der Film ging unter, Kieslowski war ein Nobody. Im Jahr darauf lief in Cannes „Ein kurzer Film über das Töten“. Die Pressevorführung war halbleer. Der Taxifahrer hörte nicht auf zu röcheln und winseln, der Mörder griff zu einem Stein, und das Publikum halbierte sich noch einmal. Die Szene dauerte sieben Minuten, aber was man nicht aushielt, war der Tod in Realzeit. Trotz der großenteils dinnierenden Weltpresse begründete dieser splitterscharf konstruierte, häßliche, unsentimentale Film Kieslowskis Ruhm im Westen.
Seitdem ging es mit Kieslowski auf-, mit seinen Filmen abwärts. Aus dem Autor, der verschiedene Versionen seiner Geschichten durchspielte – um zu zeigen, daß er nicht völlig über seine Figuren verfügte, daß sie ihre Freiheit haben, daß der Zufall mitspielt –, wurde ein lieber Gott, der seine Figuren nach Gutdünken bestraft und belohnt. Zugleich wurden die Filme „schön“. Kieslowski konnte auf 35 Millimeter und mit westlichem Material drehen, montierte die Kamera auf einen Kran und schwelgte in Fahrten und Lichteffekten. Außerdem beschäftigte er einen Komponisten, Zbigniew Preisner, der für großes Orchester und tirilierende Altistinnen schreibt. Seine Musik soll Kieslowskis an sich kleine Geschichten überwölben wie ein Speerscher Lichtdom und erdrückt sie nur unter ihrer klebrigen Schwere. Aber schließlich will es Kieslowski so. Traurig zu sehen und zu hören, wie er um eine metaphysische Dimension ringt, und wie sie ihm enträt, je panischer er nach ihr greift.
So ist es wohl kein Zufall, daß in „Rot“ – wenn man vom notorischen Bedeutungsbrimborium absieht – als Themen die männliche Impotenz und die dafür fällige Strafe übrigbleiben. Die trifft, wie schon in „Weiß“, selbstverständlich die Frau. In „Weiß“ brachte der Protagonist seine Frau ins Gefängnis, weil sie ihn wegen seiner Impotenz verlassen hatte. In „Rot“ schlägt Kieslowski in seiner Autorenherrlichkeit selber zu. Die Freundin des jungen Richters kommt in einem Orkan ums Leben. Zuvor hatte er sie durchs Wohnzimmerfenster „mit gespreizten Schenkeln und einem Mann dazwischen“ erspäht, da „hatte sie sich geholt, was er ihr nicht geben konnte“. An ihre Stelle tritt Kieslowskis Idealheroine, die zuckersüße Iréne Jacob mit dem feuchten, haftenden Blick. Die kurze Geschichte ist allzu bekannt: Mit dem Ruhm kam die Eitelkeit. Früher wäre Kieslowski der ideale Regisseur gewesen, um sie zu verfilmen.
Auch Andrej Kontschalowsky hat einen neuen Film präsentiert, überhaupt nicht eitel, billig, wirr; stellenweise brüllend komisch: „Rjaba, mein Huhn“, die Geschichte einer russischen Bäuerin und eines Huhns, das ein goldenes Ei legt. Auch das Ende ist wirr: War nun die alte Zeit besser oder doch der Kapitalismus und die Demokratie? In einem Interview mit der Libération gibt Kontschalowsky Auskunft: „Also ich sehe die russische Zukunft optimistisch, allerdings wird keine Demokratie kommen. Die Zukunft Rußlands ist das Chaos wie in Indien oder Mexiko. Vielleicht ergreifen auch die Militärs die Macht, aber davor brauchen Sie keine Angst zu haben. Sehen Sie sich Singapur an, ein reiches Land, wo es gut läuft, weil die Gesetzgebung extrem streng ist.“ So klingt es, wenn ein Russe Optimist ist. Aus Cannes Thierry Chervel
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