Cannes Cannes: Initiationsriten
■ Festspiele losgetreten, Stars erwartet
Die Initiation in Cannes-Festivalitäten erfolgt zunächst über die Einordnung in eine Nahrungskette. Es gibt weiße, gold-umrandete rosa, blaue und gelbe Karten für Pressevorführungen. Wenn du ein Weißer bist, küssen sie dich am Eingang und schreiben dir die Besprechung auf Bestellung selbst. Ulrich Gregor, Leiter des Berliner Forums, bekam letztes Jahr eine solche Karte, ohne auch nur die leiseste Idee zu haben, wofür. Dieses Jahr hat derselbe Ulrich Gregor eine gelbe Karte bekommen, was soviel heißt wie: Sie sind ein Pariah. Überraschenderweise wurde Yours Truly mit einer rosa Karte ausgezeichnet, die sogar einen kleinen gelben Punkt aufweist. Mit ein paar Kollegen vom Radio, die in dieser Sekunde gerade mit dem Telefon im Badezimmer sitzen und ihren Bericht an den ORB zu sprechen versuchen, haben wir uns in einem sogenannten Apartment eingefunden, das in alkoholfreundlicher Nähe zum Festivalgeschehen liegt. So lebt sich's studentoid und angenehm.
Man kann nur hoffen, daß der Eröffnungsfilm wirklich nichts anderes sollte, als die Sache irgendwie lostreten. Ohnehin scheint es nicht soooo sehr um die Filme zu gehen; überall Spaliere, Abtrennungen, rote Teppiche: Es geht viel mehr darum, wer kommt. Man erwartet Sharon Stone, die bereits im Straßenpflaster auf der Croisette mit einem Handabdruck vertreten ist. Man kann ein Duplikat davon in Lehm erstellen. Direkt daneben macht sich jemand gegen ein nicht zu geringes Entgelt anheischig, „Ihren Vornamen auf ein Reiskorn zu ritzen“. Der Eröffnungsfilm also, wie gesagt, war der Nachfolger von „Delicatessen“, wieder eine Koproduktion von Jeunet & Caro, „La Cité des enfants perdus“. Ausgestattet von Jean- Paul Gaultier, wird in dem bekannten märchenhaft-grünschwiemeligen Tönen die Geschichte von Krank erzählt, der vorzeitig altert, weil er nicht mehr träumen kann (dem Mann ist ein Auftritt im nächsten Wenders-Film sicher). Deshalb stiehlt er Kinder und läßt sich, mit Hilfe alchimistisch-technischer Maschinen, an deren Träume anschließen. In einem Aquarium schwimmt, als eine der wichtigsten „dramatis personae“, ein Hirn, das durch Grammophon-Hörner spricht. Er wirft eine Adornosche Flaschenpost ins Wasser: Sie enthält einen Alptraum, den aber nur die Kinder abkriegen.
Komisch, daß afrikanische Filme immer zuverlässig wie afrikanische Filme wirken. Der zweite Wettbewerbsbeitrag hieß „Waati“ und eröffnet mit einem Blick über das weite südafrikanische Bergland. Man rechnet jede Sekunde damit, aus dem Off Meryl Streep sagen zu hören: „I had a farm in Africa.“ Aber es ist ja ein Film von der anderen Seite, erzählt die Geschichte einer Sklaventochter mit all den traurigerweise erwartbaren Elementen: Vater wird geschubst, degradiert und ausgepeitscht, die Weißen haben häßliche Schweinsäuglein, und es hilft auch nichts, daß ihre Töchter später Birkenstockschuhe tragen und um Vergebung bei den Schwarzen nachsuchen. Einen interessanten Dreh kriegt der Film dadurch, daß Waati an die Elfenbeinküste zieht, um dort zu studieren. Was studiert sie? Geschichte der afrikanischen Zivilisation. Was ist das? Der Gebrauch von Masken. Alaaf, Frau Paglia! Mariam Niroumand
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