Cannes 88: Manche Frauen töpfern
■ Margarethe von Trotta macht Filme
Drei Schwestern fahren Rad, drei Schwestern engagieren sich politisch, drei Schwestern haben Angst vor Gentechnik, drei Schwestern sind mal stark und schön, mal traurig und mal richtig ausgelassen, drei Schwestern sind Frauen, die zu viel lieben, drei Schwestern können sich ganz schön in die Haare kriegen, drei Schwestern lieben den Wald, drei Schwestern leben in einer kleinen italienischen Universitätsstadt in der nebligen Poebene, drei Schwestern schreiben heimlich Gedichte, drei Schwestern lieben und bewundern einen etwas dicklichen Astro–Physik–Dozenten, drei Schwestern diskutieren mit den Nonnen, drei Schwestern verkaufen das bürgerliche Elternhaus. Mann, das ist ja wie bei Tschechow. Ein sehr deutscher Film firmiert hier als italienischer Wettbewerbsbeitrag. Paura e Amore werden darin bewältigt, und wie ein Bettvorleger selbst gewebt, mit lehrerinnenhaftem Pathos. Fanny Ardant spielt die Älteste. Fanny faßt sich ein Herz, immer wieder. „Perche parli cosi?“ fragt sie und legt die Hand ins Schwesternhaar. Fanny kriegt am Schluß noch ihre Literaturdozentinnenstelle; in der Liebe ist sie unglücklich, aber immerhin ist sie jetzt pensionsberechtigt. Valeria Golino spielt die Jüngste. Diese studiert Medizin. Sie ist ein echter Wildfang. Sie agitiert. Sie wirft Flugblätter vom Balkon der Universität (ja, Italien, da fliegen die Flugblätter noch wirklich). Sie verliebt sich in ihren Dozenten, in wen auch sonst? Mit ihm setzt sie sich auf einen einsamen Baum in der Poebene. Es sieht aus wie in einer Lebensversicherungsreklame. Im letzten Bild - der an sich stark überflüssige Film ist gerade zu bittersüßer Heiter–Bedenklichkeit geronnen - sieht man die mittlere der drei Schwestern schwarz–weiß. Greta Scacchi darf wohl als eine der schönsten und überhaupt hinreißendsten, nervösesten, schüchternsten, fröhlichsten Schauspielerinnen der Jetztzeit gelten. Sie ist ein Genie des unaufwendigen, oft kaum merklichen Mienenspiels - in schwarz–weiß kommt das erste zum Vorschein. Sie bräuchte einen Regisseur. Thierry Chervel
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