: Cannabis aus der Zwielichtzone
■ Holländische Haschisch-Pflanzer wittern Geschäft mit Touristen
Holländische Haschisch-Pflanzer
wittern Geschäft mit Touristen
Hollands Marihuana-Raucher haben den traditionellen gärtnerischen Fähigkeiten der Niederländer Ehre gemacht: Sie züchteten eine überaus kräftige, schnellwachsende Cannabis-Sorte, die für Windmühlen und Tulpenfelder als beliebteste Touristenattraktionen des Landes eine echte Konkurrenz werden könnte.
Wegen ihres unverwechselbar starken Geruchs „Skunk“ genannt, können die getrockneten purpurroten Blüten — der rauchbare Teil der Pflanze — in jedem von Amsterdams 300 Coffee-shops über den Ladentisch verkauft werden, legale Verkaufsstellen für weiche Drogen. Skunk ist zum Liebling Tausender von „Marihuana-Touristen“ in Amsterdam geworden.
Schokoladenfabriken, Video- shops und ehemalige Blumen- und Tomatenfelder wurden — über ganz Holland verstreut — in Hunderte von Skunk-Pflanzungen umgewandelt. Die sogenannten „wietboeren“ oder Skunk-Bauern haben nichts mit Drogenbaronen zu tun; sie sind ehemalige Hippies und Haschischraucher, die aus ihrer genauen Kenntnis der Cannabis-Pflanze ein sehr profitables Geschäft entwickelt haben. Ein Kilo Skunk kostet die Coffee-shop- Besitzer durchschnittlich knapp über 3.500 Dollar.
Im Keller seines Amsterdamer Apartments im japanischen Stil hat der 25jährige „Munni“ eine kleine Skunk-Pflanzung angelegt — nach seinen Worten nicht zur kommerziellen Nutzung gedacht, aber dennoch „mehr als nur ein Hobby“.
Dreihundert Pflanzen, mit Hilfe eines ausgeklügelten computerisierten Systems bewässert, wachsen auf lediglich sechs Quadratmetern. Eine blendende Batterie 1.000-Watt-Sodiumlampen bewegt sich automatisch an der Decke auf und ab, und weiße Plastikbahnen bedecken die Wände, um die Lichtintensität zu erhöhen. Sauerstoff-Ventilatoren und Thermostate erzeugen ein betäubendes Summen, und die Luft ist gesättigt mit einem zu Kopf steigenden, kräftigen Geruch. Das Ganze wirkt wie ein Untergrundlaboratorium in einem Science-fiction-Film.
Die Pflanzen werden nach drei Monaten reif, dann müssen die Blüten sofort gepflückt werden, damit sie nicht verfaulen. Munni, der auf drei Kilo Skunk aus einer Ernte hofft, begnügt sich damit: „Größer will ich nicht werden. Wenn ich Leute von draußen reinholen muß, damit sie mir bei der Ernte helfen, werde ich leichter erwischt.“
Skunk wurde zuerst in Kalifornien gezüchtet — aus der durch zahllose Reggae-Songs bekannten Sensimilla-Art der Cannabis. Holland, mit seinem Überfluß an Dünger, Treibhaus-Lampen und Gewächshäusern und seinen liberalen Drogengesetzen ist zum Forschungs- und Entwicklungszentrum für Cannabis geworden.
Laut Munni dauerte es 400 Generationen, bis durch Kreuzungen aus der ursprünglichen Pflanze die Skunk-Sorte gezüchtet war. Nur die unbefruchteten weiblichen Pflanzen produzieren die winzigen Tröpfchen Tetrahydrocannabinol (THC), die den Raucher „stoned“ machen.
Das Risiko der Pflanzer ist minimal. Hollands pragmatische, aber unbestimmte Drogengesetze erlauben den Anbau von Cannabis-Pflanzen für industrielle Zwecke (unter anderem werden aus der Cannabis- Pflanze auch Stoffe und Seile hergestellt) und als Windschutz für andere Pflanzen.
Holland ist der einzige legale Exporteur von Cannabis-Samen auf der Welt, und seit 1976 ist der Besitz von bis zu 30 Gramm der rauchbaren Pflanzenteile gestattet. Auch der Handel mit diesen Mengen ist erlaubt, so lange er unauffällig vonstatten geht.
Das beste Gras der Welt aus heimischen Gärten
Die holländische Polizei spielt die Existenz der Pflanzungen gern herunter und kümmert sich lieber um harte Drogen und die Verhinderung von Drogenimporten. „Wir wissen nicht genau, wie groß die einheimische Cannabis-Ernte ist, aber wir machen uns darüber auch keine großen Sorgen, solange nichts exportiert wird“, erklärt Leo Zaal, der Leiter der Drogenabteilung der Amsterdamer Polizei, der auch gesagt haben soll, er halte das holländische „Gras“ für das beste der Welt.
Dennoch gibt es Drogenrazzien, besonders wenn wieder einmal ein computerisiertes Bewässerungssystem zusammengebrochen ist und ein Haus unter Wasser gesetzt hat. Ab und zu beschweren sich auch die Nachbarn über den Lärm der Thermostate, manchmal löst sogar der süßliche Geruch des Skunk eine Polizeirazzia aus.
Den großen Pflanzern hilft die Geschwindigkeit, mit der die Pflanze wächst. Gewöhnlich lassen sie sich in einem verlassenen Lagerhaus oder an einem anderen geeigneten Ort nieder, ernten einmal und ziehen dann um. In jedem Fall riskieren kleine und mittelgroße Pflanzer lediglich eine Beschlagnahme ihrer Gerätschaften, obwohl der Anbau von Cannabis formal noch immer mit Gefängnishaft bedroht wird.
Diese Politik des Wegschauens wird von den Skunk-Anbauern respektiert. „Wir wissen, wir können die Grenzen des Erlaubten überschreiten... Wir sind in einer Art Zwielichtzone“, konstatiert Wernard, der als einer der ersten 1973 in Holland einen Coffee-shop für Raucher eröffnete. Wernard hatte früher eine große Cannabis-Farm auf einem Gelände, das er einem Tulpen-Farmer auf der Insel Polder nördlich von Amsterdam abgekauft hatte. Er hat jetzt nur noch zwei kleine Pflanzungen und verdient den größten Teil seines Geldes mit „Ausbildungs-Videos“ über den Eigenanbau und aus einem Lampengeschäft, das zugleich ein Treffpunkt für die wietboeren ist.
Tauben-, Hamster- und Pelikankot
Der Einkauf bei Wernard in einer südlichen Arbeitervorstadt von Amsterdam, passenderweise als „die Pfeife“ bekannt, erfolgt nur auf Einladung. In dem umgewandelten Wohnzimmer weisen lediglich die Preisschilder an den Sodiumlampen und Ventilatoren in einem Glasschrank auf kommerzielle Tätigkeit hin.
Im Hinterzimmer des Ladens gibt es ein kleines Skunk-Laboratorium voller Cannabis-Sämlinge, den weiblichen Klons, von denen Wernard sagt, die gäbe es gratis zu jeder verkauften Lampe dazu. Die meisten wietboeren ziehen ihre Pflanzen aus diesen Klons.
Die Liste der im Laden gelagerten Dünger liest sich wie das Rezeptbuch einer Hexe: versteinerter Tauben-, Hamster- und sogar Pelikankot wird empfohlen. Im Kühlschrank liegen Schachteln mit winzigen Spinnen, ein natürliches Hilfsmittel gegen die Blattläuse, die die Ernte in geschlossenen Räumen bedrohen.
Im Garten steht auf einer erhöhten Plattform ein kleiner Wald dunkelgrüner Cannabis-Pflanzen, alle etwa einen Meter achtzig hoch. Es handelt sich um eine besondere Freilandsorte namens Viking, die vor zwanzig Jahren von Wernard zum Anbau in Hollands gemäßigtem Klima entwickelt wurde.
Nachdem die Presse berichtete, beim Skunk-Anbau würden schädliche Pestizide eingesetzt, wollen Gerüchte sogar wissen, die Amsterdamer Polizei plane eine besondere Einheit zur Kontrolle der Cannabis- Qualität. Wernard unterstreicht die „organischen“ Anbaumethoden der Pflanzer, die ihre Ausrüstung in seinem Laden kaufen: „Die kommerziellen Pflanzer, die statt Erde Steinwolle benutzen, kaufen woanders. Wir hier wollen den Leuten beibringen, wie sie ihr eigenes Gras anbauen können, so daß es Teil ihres Lebens wird. Baue wenig an und nur für den eigenen Verbrauch, empfehlen wir. Wenn du nur drei Quadratmeter hast, dann kannst du sagen, es ist für den eigenen Bedarf.“
Ein alter Partner Wernards ist der exzentrische Kees Hockart, der vor zwanzig Jahren in Holland die Kampagne zur Legalisierung von Cannabis betrieb. Viele wietboeren sind alte Freunde von ihm. „Ich wünsche ihnen Glück“, erklärt er. „Je mehr sie verdienen, desto besser. Am liebsten sähe ich den ganzen Polder mit Marihuana-Pflanzen bedeckt, dann wäre Holland das reichste Land Europas, und alle wären glücklich.“
Aus dem Amerikanischen
von Meino Büning
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