■ COUCHPOTATO'S WEIHNACHTSTELLER: Heiligabend
Die Antennenbäumchen sind festlich geschmückt. Mutter steht in der Küche und schiebt das letzte Backblech voll zuckriger Aspirinplätzchen in den bullernden Kanonenofen. Vater gibt sich die Weihnachtskugel, und die Mastgans läßt noch einmal ihr kurzes Leben Revue passieren. Nun wird es Zeit, Blutorangen und Granatäpfelchen bereitzustellen und mit einem gezielten Dominosteinwurf den Fernseher einzuschalten.
HEILIGABEND
Ist das Leben nicht schön? möchte man mit Frank Capra fragen, der seinen Landsleuten 1947 einen kräftigen Schuß Optimismus verpaßte. James Stewart denkt völlig unamerikanisch an Selbstmord, revidiert aber sein Vorhaben, nachdem ein wohlmeinender Engel ihm vor Augen führt, wieviel Gutes er doch schon angerichtet hat (3sat, 15.55 Uhr). Gänzlich unangefochten von irgendwelchen Suizidgedanken sind Bing Crosby und Danny Kepe in Michael Curtiz' Weiße Weihnachten. Weil in einem Wintersportort nicht nur der Schnee, sondern auch der Ansturm der Feriengäste ausbleibt, schmalzt Bing sein bewährtes White Christmas, und schon öffnet sich der Himmel (Sat.1, 16.45 Uhr). Der Film von anno '54 gehört ebenso obligat zum Weihnachtsritual wie John Fords Dreikönigsparaphrase Spuren im Sand, die diesmal von RTLplus offeriert wird (2.45 Uhr), während die ARD John Badhams Remake aus dem Jahr 1974 aufgetrieben hat (1.30 Uhr). Statt John Wayne, Pedro Armendariz und Harry Carey jr. werden hier Jack Palance, Jack Warden und Keith Carradine zum Guten bekehrt. Auch hartgesottene Piraten werden weich, wenn der Weihnachtsmann an der Rahe baumelt. Statt dem festgeschriebenen Berufsbild zu entsprechen und zu kapern, zu morden und zu sengen, bewahren Die Piraten von Tripolis (Pro 7, 13.30 Uhr) lieber eine nordafrikanische Prinzessin vor allerlei Ungemach. In Jimmy und die Piraten (Tele 5, 19.50 Uhr) erbittet ein zarter Knabe Mitfahrgelegenheit auf einem Korsarensegler und wird von einem Magier aus dem Jahre 1960 ins Mittelalter versetzt — da hat er die Bescherung. Weihnachten nach Maß also, und die gibt es auch für Barbara Stanwyck, die sich als erfolgreiche Kolumnistin aus Gründen der Publicity kurzfristig eine Familie besorgen muß (Eins plus, 15.05 Uhr). Damit wären die milden Gaben des Heiligen Abends aus- und abgewickelt, und wir kommen zur Völlerei des ersten Weihnachtstages.
Quengelnde Gören schicken wir mit Hilfe der ARD auf einen fernen Planeten. Herrscher der Zeit (9.00 Uhr) ist ein utopischer Zeichentrickfilm von Rene Laloux und Comic-Star Moebius. Um 12.43 Uhr geht's weiter nach Phantasien, wenn nämlich West3 mit Die unendliche Geschichte einen schwer verdaulichen Braten in die Bildröhre schiebt. Im Michael-Ende-Land wird zügig das Nichts abserviert, damit man pünktlich um 15.55 Uhr auf Mittelerde eintrifft, um dem finsteren Sauron einen zünftigen Nasenstüber zu verpassen. Der Herr der Ringe präsentiert seine Schmuckstücke exklusiv im ZDF um 15.55 Uhr, wird aber umgeschaltet, denn RTLplus versteckt seine Preziose Twin Peaks neuerdings im Nachmittagsprogramm. Alternativ zu obigen Reisen durch Raum, Traum und Zeit böte Pro7 noch einen Ausflug unter dem Motto Robinson Crusoe auf dem Mars, 13.10 Uhr) und liefert um 16.25 Uhr mit Der rote Korsar den besten Piratenfilm schlechthin frei Haus. Unter Robert Siodmaks Regie raufen und saufen ein übermütiger Burt Lancaster und sein Kumpan Nick Cravat um die Wette, um schließlich Eva Bartok heimzuführen. Lancaster bekommt reichlich Gelegenheit zur Demonstration seines artistischen Könnens, das er sich in jungen Jahren als Zirkusakrobat angeeignet hat. Als Freibeuter unter Laptop-Segeln entert Michael Douglas um 20.15 Uhr auf Pro7 die New Yorker Börse. In Oliver Stones Wall Street spielt er einen skrupellosen Makler, der sich geschickt durch die Wanten großmaschiger Finanzgesetze hangelt. Charlie Sheen ist ihm ein gelehrige Schüler, bis er nach der unausweichlichen Läuterung seinem Herrn und Meister zeigt, wo das Bugspriet zu Ende ist.
Am zweiten Weihnachtstag sind die neuen Spielsachen bereits langweilig. Das gilt natürlich nicht für Jacques Tatis Playtime, eine höchst vergnügliche Variante zum Thema Amerikaner in Paris, die um 18.00 Uhr im Programm von Hessen3 zu finden sein wird. Wer will, kann die Zeit bis dahin bei ZDFs mit Der blaue Vogel überbrücken. In dieser amerikanisch-sowjetischen Koproduktion macht sich eine noch arg minderjährige Patsy Kensit an der Seite ihres Filmbruders Todd Lookinland auf Anweisung einer Hexe auf die Suche nach dem blauen Vogel. Beide treffen unter anderem auf Elisabeth Taylor, Ava Garnder, Jane Fonda und Oleg Popov. Regie führte Altmeister George Cukor. Unumgänglich ist natürlich die Ausstrahlung der Gangsterkomödie Wir sind keine Engel, ohne die das Weihnachtsfest einfach nicht komplett wäre. Das DFF-Länderkettchen macht sich kurz vor Toresschluß noch einmal um seine treuen Zuschauer verdient und jagt Michael Curtiz' Festtagsdauerbrenner um 17.05 Uhr in den Äther. Ganz neu, aber verdammt wiederholungsträchtig ist die Sendung Das größte Fest des Jahres, in der die ZDF-Serienredaktion sämtliche Publikumslieblinge von Uschi Glas über Anja Kruse und Christian Wolff bis Günther Strack, Christian Quadflieg und Klausjürgen Wussow untergebracht hat. Land- und Klinikärzte, Förster, Pfarrer und Zwei Münchner in Hamburg feiern um 19.30 Uhr, aber brav hintereinander weg. Den besten Film der Star-Trek-Serie sicherte sich Sat.1 und gibt ihm um 20.15 Uhr zum besten. Zurück in die Gegenwart müssen Kirk & Co. und landen im Dienste der Ökologie auf der Erde des Jahres 1986. So ironisch, so engagiert und witzig sah man die Enterprise-Besatzung selten. Regie führte Spitzohr Leonard Nimoy persönlich. Atemlos harrt die taz-Belegschaft [also ich schon mal nicht, d. säzzerin] der Sendung Leo's (ARD, 22.00 Uhr) und damit der Verleihung der „Goldenen Extrava-Gans“, deren eine im vergangenen Jahr an Ex-tazlerin Georgia Tornow ging. Und man hat ja gesehen, wie weit sie damit gekommen ist... Wer wird der/die nächste sein? Aus Anlaß ihres 90. Geburtstages ist auf allen Kanälen Marlene Dietrich vertreten, aber auch Tipp Hedren erfährt doppelte Würdigung. Um 22.00 Uhr wird sie auf Hessen3 in Hitchcocks Die Vögel bedrängt, ein Epos, das wir ornithophoben ZuschauerInnen nicht empfehlen möchten. Geschnäbelt wird auch in Charlie Chaplins Alterswerk Die Gräfin von Hongkong, in dem Tippi Hedren neben Sophia Loren, Marlon Brando und Margaret Rutherford auftritt (ARD, 0.05 Uhr). Danach wird's langsam Zeit für einen letzten Eierpunsch oder Glühwein, um dann völlig umweihnachtet in die, äh, Federn zu sinken. Herr Rodes-Antipas
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