CONTRA REFERENDUM: Gulliver und Europa
■ Über Volkssouveränität und deutsche Sonderwege
Nun haben wir den Schlamassel. Mit der dänischen Ablehnung der Maastrichter Verträge über die Europäische Union wird eine Krise des europäischen Einigungsgedankens beginnen. Es fällt aus deutscher Sicht schwer, in dieser Situation eine strategische Perspektive zu formulieren. Zunächst einmal sollte man sich darüber klar werden, was die inneren Motive des dänischen Neins sind. Die besonders von SPD und Grünen formulierte Vorstellung, die Dänen seien mit der Perspektive einer möglichen Verschlechterung ihrer hohen Standards in Sozial- und Umweltpolitik nicht einverstanden, zielt haarscharf daneben. Den Dänen ist — wie auch den Briten — unwohl bei dem Gedanken, das nun 80 Millionen Menschen umfassende Deutschland könne über kurz oder lang in Brüssel allein oder ausschlaggebend das Sagen haben.
Insofern entbehrt es nicht einer gehörigen Portion politischer Dummheit, wenn nun bundesdeutsche Politiker aus SPD und aus den Reihen von Bündnis 90/Grüne im Windschatten der dänischen Abstimmung eine Neuverhandlung von Maastricht und gar eine deutsche Volksabstimmung verlangen. Ihnen scheint im Zuge der „Verschweizerung“ der deutschen Politik jedwede Sensibilität für die Differenzen von Binnen- und Außenwahrnehmung der Bundesrepublik abhanden gekommen zu sein.
Den Deutschen mußte im Sinne ihrer weltpolitischen „Resozialisierung“ nach dem Kaiser und nach Hitler unbedingt an Europa gelegen sein. Nur so konnten sie praktischen und ideellen Anschluß an die solidesten demokratischen Traditionen wie in Frankreich, in Holland, in Großbritannien oder eben auch in Dänemark gewinnen. Die Nachbarn verstanden die europäische Einigung immer auch als eine Art kontrollierende Einbindung des deutschen „Gullivers“. Daß die Ängste nach der Wiedervereinigung nicht kleiner geworden sind, dürfte klar sein. Wer diese Schere zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung nicht sieht und nur aus der Binnenoptik deutscher Fragen agiert, der steht in der Tat außerhalb der kosmopolitischen Tradition und erweist sich letztlich als Erbe der nationalpopulistischen Tradition der deutschen Rechten. Ganz im Gegensatz zu dem in diesem Punkte vorbildlich agierenden Helmut Kohl, der mit Entgegenkommen auf die Sorgen unserer Nachbarn zu reagieren vermag.
Wenn zwei das gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Wenn Mitterrand ein Referendum über Maastricht ansetzt, dann ist das hochgepokert, aber vernünftig. Geht es positiv aus, wofür einiges spricht, dann würde dies der europäischen Einigung nach der dänischen Schlappe neue Dynamik geben und ein Signal setzen: „Seht her, wir Franzosen haben keine Angst mehr vor den Deutschen.“ Hielte man aber in Deutschland ein Referendum zu Europa, dann würde das unweigerlich — und in diesem Punkte auch zu Recht — in einer ganz anderen Optik gesehen. Deutsche Volkssouveränität kann eben nicht auf eine in den großen Fragen makellose Geschichte zurückblicken. Die Dänen, Holländer, Franzosen und Italiener erinnern sich gut daran, daß deutsche Regierungen in diesem Jahrhundert zweimal mit breitem Volkskonsens einen Weltkrieg anzettelten. Ein deutsches Referendum ausgerechnet zu Europa und ganz unabhängig vom Ausgang würde diese Erinnerungen ein weiteres Mal auffrischen. Und stellen wir uns vor, ein Referendum ginge tatsächlich negativ aus: Deutschland wäre tatsächlich mit sich und Gott ganz allein. Es würde im nachhinein alle unterstellten Sonderwegsabsichten bestätigen. Insofern ist es in der Tat gut, daß es in Deutschland das Institut des Referendums nicht gibt. Ulrich Hausmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen