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Archiv-Artikel

CHINA VERURTEILT ERSTMALS EINEN DISSIDENTEN WEGEN TERRORISMUS Herber Rückfall in neue Zeiten

Vieles wandelt sich in China, doch leider kaum etwas im politischen Bereich. Dort ist das Herrschaftsmonopol der Kommunistischen Partei weiterhin sakrosankt. Dabei sind viele kommunistische Kader längst keine sturen Apparatschiks mehr. Zumindest in kleiner Runde sind sie selbst gegenüber Ausländern viel realistischer, umgänglicher und offener geworden – was natürlich noch nicht mit demokratischer zu verwechseln ist.

Pekings Kader haben einige Lektionen gelernt. So verhalten sie sich heute meist viel geschickter als früher. Dazu gehört zum Beispiel, dass sie ein Stück weit gelernt haben, der Kritik wegen der Inhaftierung politischer Gefangener die Spitze zu nehmen – ohne dabei in der Sache nachzugeben. Denn Dissidenten wie etwa der langjährig inhaftierte Wei Jingsheng sind für Pekings Kommunisten zu vernachlässigen, sobald sie erst mal im Exil sind. Denn dort streiten sich die Dissidenten hauptsächlich untereinander und marginalisieren sich wegen ihrer radikalen Kompromisslosigkeit selbst. In Chinas Kerkern und Arbeitslagern dagegen sind sie ein ständiges mahnendes Symbol für das undemokratische autoritäre System und dessen rüde Missachtung politischer und bürgerlicher Freiheitsrechte.

Dass es diesen „Lernfortschritt“ gibt, das wurde auch im Umgang mit dem Dissidenten Wang Bingzhang deutlich. Er war 1998 mit gefälschtem Pass nach China eingereist und beabsichtigte, dort eine demokratische Partei zu gründen. Als die Behörden seiner habhaft wurden, schoben sie ihn kurzerhand ab, und Wang war bald wieder vergessen. Aus Pekings Sicht war das smart.

Wangs jetzige Verurteilung zu lebenslänglicher Haft ist dagegen ein herber Rückfall und eine große Dummheit, auch wenn darin wieder deutlich wird, welche Lektion Chinas Autoritäten jetzt gelernt haben. Das Gericht wollte offenbar ein Exempel statuieren, denn Wang war nach seiner glimpflichen Abschiebung jetzt womöglich „rückfällig“ geworden, wobei die Umstände seiner Einreise nach China völlig mysteriös bleiben. So ist weder eine Entführung auszuschließen noch dass Wang erneut illegal einreiste. Doch statt Wang wieder lautlos abzuschieben, schuf das Gericht jetzt einen neuen Märtyrer. Das will es vertuschen, indem es ihn wenig glaubwürdig zum Terroristen erklärte, was ja derzeit weltweit eine Art Totschlagargument ist. Wenn schon die USA im Umgang mit den in Guantánamo inhaftierten mutmaßlichen Terroristen selbst rechtsstaatliche Prinzipien aushebeln, werden sie wohl kaum Peking kritisieren können, so offensichtlich die dahinter stehenden Gedanken in China. Diese Art Lernfähigkeit ist ein herber Rückfall in neue Zeiten. SVEN HANSEN