CHINA NACH ZHU RONGJI – KEIN GROSSES LAND HAT SO GUTE AUSSICHTEN : Stolz auf 27 Millionen Entlassungen
Wer Zhu Rongji diesmal nicht verstanden hat, wird ihn nie verstehen. Noch etwas deutlicher, als er ohnehin ist, hat der Pekinger Premierminister zum Abschied aus dem Amt seine Botschaft den Chinesen eingehämmert: Weitermachen auf dem Weg in die Marktwirtschaft, „Bankrotte standardisieren“, „Effizienz durch Personalabbau erhöhen“, „Kompetenzen der Regierung von denen der Unternehmen trennen“. Fünf Jahre lang hat Zhu genau das durchgesetzt – und scheute sich in seiner Leistungsbilanz nicht, die Entlassung von 27 Millionen Arbeitern aus staatseigenen Betriebe zu erwähnen.
Das konnte nur einer durchstehen, der, wie er sich ausdrückte, „wagte, auf Granit zu beißen“, der sich einst von Mao Tse-tung als Rechtsabweichler outen ließ, der die Kulturrevolution in proletarischer Arbeitshaft verbrachte. Wie außer Mao nur dessen Premier Tschou En-lai und Nachfolger Deng Xiaoping gehört Zhu schon heute zum legendären Inventar der Volksrepublik. Denn gerade mit seiner nur an Mao zu messenden Härte gegenüber sich selbst und anderen, eroberte Zhu mehr als die Macht – das Vertrauen von 1,3 Milliarden Chinesen.
Nicht einmal Dissidenten zweifeln an seiner Leistung. Im durch die Kulturrevolution verrotteten Schanghai legte er als Bürgermeister die Grundsteine für den Aufbau einer Weltstadt. Im vom zentralistischen Planungseifer beherrschten Peking schuf er als Premier die Basis für eine moderne Marktwirtschaft – kein großes Land hat heute bessere wirtschaftliche Aussichten als China. Doch wird ihm die Partei, deren internes Herrschaftssystem er unangetastet ließ, auch nach seinem Abgang folgen?
Schon wetzen die mit Zhu reich gewordene Parteikader ihre Messer. Sie wollen nicht loslassen, was als Aktiengesellschaft heute Geld in ihre Kassen trägt, wollen nicht nur die herrschende, sondern auch die besitzende Klasse bleiben. Hier bleibt Zhus Reformwerk unvollständig. Doch gelang es ihm noch auf den letzten Drücker ein Gesetz durchzufechten, das den Bauern größere Besitzrechte an ihrem Land sichert. Hier liegt die Quelle für ein neues Verständnis von Privatrecht und Privateigentum in China. Aus ihr werden Zhus Botschaften noch lange sprudeln. GEORG BLUME