CHINA: DIE DEUTSCHEN TRANSRAPID-BAUER HABEN NOCH NICHT VERLOREN : Klagender Westen, schwebender Osten
In der bislang erfolgsarmen dreißigjährigen Geschichte des Transrapid war der vergangene Silvestertag die große Ausnahme: Da glitten ein deutscher Bundeskanzler und ein chinesischer Ministerpräsident mit einer Geschwindigkeit von 450 km/h durch die Boommetropole Schanghai – auf der ersten kommerziell ausgelegten Magnetbahnstrecke der Welt. Seitdem herrscht in Deutschland um den Transrapid wieder Klage und Geschrei – diesmal um den unsinnigen Einsatz auf der Kurzstrecke. Da passt es ins Bild, wenn nun auch China von der Magnetbahntechnik Abstand zu nehmen scheint. Schon wird die sich andeutende Entscheidung der Pekinger Behörden, auf der Langstrecke Schanghai–Peking der alten Eisenbahntechnik den Vorrang zu geben, als endgültiges Aus für den Transrapid interpretiert. Als merkten nun auch die Chinesen, dass mit deutscher Technik kein Weg mehr in die Zukunft führt.
Doch das stimmt nicht. Noch stehen dem Transrapid in der Volksrepublik Tür und Tor offen. Denn in Wirklichkeit steht der Ausbau der Infrastruktur zwischen den aberdutzend Millionenmetropolen Chinas erst am Anfang. Nur ein Bruchteil der Chinesen kann sich heute teure Verkehrsmittel leisten – das aber wird sich schnell ändern. In zehn Jahren wird das Land bis zu 400 Millionen neue Küstenbewohner zählen, die nach schneller Anbindung an ihre Heimatprovinzen suchen. Schanghai–Hongkong könnte zur meistbefahrenen Strecke des Landes werden, aber nicht mit drei Millionen Fahrgästen pro Jahr, wie sie einst bei der geplanten Transrapid-Strecke Berlin–Hamburg anvisiert wurden, sondern mit hundert Millionen.
Flug- und Autoverkehr können solches Reiseaufkommen nur unter untragbaren Umweltkosten bewältigen, und das traditionelle Schienennetz ist überfordert. So könnte der Transrapid in China noch zum zweiten Sieger werden. Insofern ist es angemessen, wenn heute eine Hand voll Manager und Ingenieure bei ThyssenKrupp und Siemens nicht vom alten deutschen Fortschrittsglauben lassen. So oft kann man das Rad schließlich nicht neu erfinden. GEORG BLUME