CHARLES SAATCHI SUCHT DEN SUPERSTARKÜNSTLER : X-Factor in Acryl
JULIA GROSSE
Nüchtern ist die Stimmung auf dem Kunstmarkt. Statt auf hysterische Blow-up-Skulpturen setzt man auf kleine, bedachte Arbeiten und beginnt sich vorsichtig aus der Schockstarre des trüben Jahres zu lockern.
Und genau in diesem Moment platzt Charles Saatchi ins britische Fernsehen, auf der Suche nach dem Superkünstler. In der Show des Londoner Supersammlers wird noch big, big, big gedacht. Mit Starjury, Mega-Casting, dramatischen Chören während des Intros, Hubschraubern, Kameraschwenkern auf Saatchis gigantisches Galerie-Imperium und eine schnell geschnittene Best-of-Parade seiner Helden, die heute in Millionen schwimmen, Damien Hirst, Tracey Emin, Jeff Koons. Ein Leben im Blitzlichtgewitter wird auch dem Gewinner der BBC-Vierteilers „School of Saatchi“ versprochen. Selten wirkte eine Suche nach dem Künstler als Popstar so deplatziert und lächerlich wie im Augenblick.
Renovierungsshows gibt es schon, man sucht das Supertalent, den Superkoch und nun, den besten Künstler. Anstatt bei Donald Trumps TV-Show „The Apprentice“ ein Poloturnier zu organisieren oder bei „X-Factor“ die hundertste Version von „Halleluja“ runterzuleiern, realisiert man bei Saatchi innerhalb weniger Tage eine große, atemberaubende Skulptur im öffentlichen Raum. Das Prinzip folgt der klassischen Bündelung von Spannung: Vom ersten Casting der talentlosen Masse bis hin zur stetigen Reduzierung der Teilnehmer, die Saatchi immer näher rücken und in haargenau die gleichen dramaturgischen Muster gepresst werden wie R & B-Hoffnungen oder die Mitglieder im Haus von „Big Brother“: Zwangssolidarisierung unter den Kandidaten, Intrigen, Performen am Rande des Nervenzusammenbruchs.
Wie in all den anderen Formaten definiert auch der angehende Superstarkünstler die Qualität seines Schaffens nicht mehr über seine subjektive Ideenfindung. In erster Linie muss es dem Meister Saatchi gefallen. Und was genau der mag, wird den Kandidaten in James-Bond-Manier über eine smarte Mitarbeiterin mitgeteilt.
Dabei zuzusehen, wie die Kunst in ein quer durch die britischen Gesellschaftsschichten beliebtes Billigkonzept der Talentshow gepresst wird, macht keinen Spaß. Denn Anfang-20-jährige Maler oder Bildhauer werden zu Stellvertretern des „zeitgenössischen Künstlers“, denen Millionen von Zuschauern beim fragilen Kampf mit der Kreativität zugucken können – wie sich lausende Affen im Zoo: Aha, so findet ein Künstler ein Thema! Indem er ein bisschen am Strand entlangläuft und ein altes Plastikstück findet, es nachbauen lässt und ausstellt? Kann ich auch! Zwar versucht die prominente Jury um Kunstkritiker Matthew Collings oder Tracey Emin ehrgeizig zu erklären, warum die gestapelten indischen Brote des einen Kandidaten nun gute Kunst sind, und ein technisch einwandfreies Gemälde des anderen nicht. Einen großen Lerneffekt wird es nicht geben. Der Zuschauer kann eine quäkige Stimme immer noch leichter erkennen als eine misslungene Installation.
■ Julia Grosse ist Kulturreporterin der taz in London