CDU und Klimapolitik : Can Do Union
Die CDU hat jetzt eine EU-Kommissionspräsidentin mit Klimaschutzgesetz, einen Klimahandlungsbefehl aus Karlsruhe und eine eigene KlimaUnion. Was folgt daraus?
Von PETER UNFRIED
Philipp Schröder hatte seine ersten Millionen für ein Start-up mit 23 eingesammelt. Mit 30 war er Deutschlandchef des kalifornischen Elektroauto-Unternehmens Tesla. Danach war er beim Energiespeicherunternehmen Sonnen, zuletzt gründete und verkaufte er das Fondsinvestmentportal CAPinside. Das ist also einer, der in intensiven Prozessen arbeitet und gewohnt ist, damit schnell viel zu erreichen. Ach so, und außerdem ist er bei den Grünen aus- und die CDU eingetreten.
»Um echte Veränderung anzustoßen, reicht die grüne Bubble nicht«, sagt Schröder, heute 37, im Zoom-Gespräch. Man werde »die CDU und die bürgerliche Mitte brauchen und vor allem die Wirtschaft«. Er spricht schnell und leicht abgehackt, als wolle er die Eile seiner Sache lautmalerisch unterstreichen.
Zusammen mit dem Berliner Klimaaktivisten Heinrich Strößenreuther und anderen hat er die KlimaUnion gegründet, einen Verein, dessen Ziel es ist, Mehrheiten zu gewinnen in CDU, CSU und Gesellschaft »für eine wirtschaftsfördernde Klimapolitik«, die das Land in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren klimaneutral machen soll. Die bisherigen Maßnahmen der von CDU und CSU geführten Bundesregierung zur Einhaltung des von ihnen selbst unterzeichneten Pariser Klimaabkommens seien »bei Weitem noch nicht ausreichend«, heißt es in der Vereinssatzung. Die KlimaUnion will Leute überzeugen, die die Erderhitzung auch auf möglichst 1,5 Grad begrenzen wollen, sich aber von der »linken Klimaschutzbewegung«, wie Schröder das nennt, nicht angesprochen fühlten.
»Um echte Veränderung anzustoßen, reicht die grüne Bubble nicht, da brauchen wir eine Verbindung zu Konservativen und Wirtschaft.« Philipp Schröder, CDU
Für eine Grün-schwarze Allianz
Die »grüne Bubble«, das ist einer seiner Schlüsselbegriffe, die Schröder immer einsetzt. Das heißt für ihn: Grün und öko ist zu eng, zu moralisierend, zu wenig technologie- und wirtschaftsinteressiert und bleibt am liebsten unter sich.
Er selbst ist ein Kind dieser Bubble. »Aber eines, das sich emanzipiert hat.« Kommt von einem Demeter-Bauernhof bei Lüneburg, demonstrierte im Wendland gegen das Atommülllager Gorleben. Interessant, dass ihn die Grünen mehr und mehr irritierten, nachdem er selbst zum Macher und Umsetzer geworden war. »Ich war überanstrengt von den Diskussionen bei den Grünen. Die haben mich frustriert, das war Selbstzweck.« Es ist unklar, ob das einfach biografische Transparenz ist oder ob er mit diesem offensiv zelebrierten Bruch auch Leute zur CDU holen will, denen es ähnlich geht. Letztlich zielt er aber auf eine politische Allianz von Grün und Schwarz. »Die Gesellschaft muss miteinander einen Umbauprozess hinkriegen, da hilft kein Ökopopulismus, da brauchen wir mehr Sachlichkeit und eine Verbindung der grünen Bubble und der Konservativen«, sagt er.
Die Union ist im Grunde analog zur Bundesrepublik deshalb in einer so schweren Lage, weil das Politikprinzip des Nachkriegsdeutschland nicht mehr funktioniert. Es bestand darin, dass progressive Teile der Gesellschaft vorangingen, ganz früher mal die SPD, in den zwei letzten Dekaden des vorigen Jahrhunderts dann die Grünen – und die Union wartete immer schön, bis irgendetwas mehrheitsfähig war, um es dann als eigenes Projekt umzusetzen.
Klimapolitiker wurden nicht gebraucht
Das politische Kunststück des 21. Jahrhunderts wird aber darin bestehen, gleichzeitig vorn zu sein und eine Mehrheit zu haben. Damit ist bisher jede Partei überfordert, aber die CDU besonders und speziell, wenn Klimapolitik künftig führen sollte, weil es dort fast keine Klimapolitiker gibt. Aus dem simplen Grund, dass man sie ja bisher nicht zu brauchen glaubte. Wer etwas werden wollte, das gilt allerdings für alle Parteien und genauso für die Grünen, durfte auf keinen Fall Klimapolitik machen.
Erst mit dem Auftauchen von Fridays for Future merkte die damalige CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, dass man ohne Know-how nicht sprech-, geschweige denn politikfähig war, suchte dann Mitte 2019 neue Anschlüsse, etwa ein gemeinsames Projekt »Ökosoziale Marktwirtschaft« mit Ralf Fücks' Thinktank Liberale Moderne. Und sie suchte auch hektisch einen CDU-Experten für das von den Fridays-Aktivisten erzwungene Klimapaket. Sie fand – ihren alten Förderer Klaus Töpfer. Der schrieb auch schön was auf, wies aber darauf hin, dass er inzwischen über 80 sei. Den Job übernahm dann der Baden-Württemberger Andreas Jung, der tatsächlich Klimapolitikexperte ist, aber damit in der Union weitgehend marginalisiert war.
Die wichtigen Leute waren Klimapolitikbremser, etwa Thomas Bareiß als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium oder die unlängst im Zuge des Maskenskandals zurückgetretenen Unions-Abgeordneten Joachim Pfeiffer (CDU) und Georg Nüsslein (CSU). Eine Studie von LobbyControl beschreibt auch den Lobbyverband »Wirtschaftsrat«, oft fälschlich als Parteigremium verstanden, als Anti-KlimaUnion. Sein Interesse war bisher offenbar die Bewahrung fossiler Strukturen und die Verhinderung von Klimapolitik.
Große Töne bei der KlimaUnion
Nun sind die Töne der KlimaUnion zwar ziemlich groß, aber die versprochene Wirkung muss sich erst einmmal einstellen. CDU-Mainstreamkompatibel sei das noch lange nicht, glauben Parteikenner. Die wichtigste Wirkung besteht wohl darin, dass dadurch Leute wie Andreas Jung in der Partei nicht mehr als Radikale gelten, sondern als mittig. Die neue klimapolitische Strategie der Union nach dem Aufstieg der Grünen und dem Druck von Fridays for Future war ja, das Thema defensiv abzudecken, also zu sagen, jaja, haben wir auch, es aber nicht offensiv in Wahlkämpfe zu tragen.
Norbert Röttgen stand für letzteres und das Näherrücken an die physikalische Realität – und verlor die Wahl zum Parteivorsitzenden. Im Moment ringt man damit, ob es dabei bleiben kann. Während der CDU-Vorsitzende Armin Laschet eher für das alte Stillhalten-Modell steht, ist CSU-Chef Markus Söder längst strategisch dazu übergegangen, den Wettbewerb mit den Grünen in der Sache auszurufen.
Inzwischen haben sich auch relevante Teile der Wirtschaft, die die fossile CDU zu vertreten glaubte, weiterentwickelt. Dort lässt man sich etwa von Patrick Graichen informieren, dem Direktor des Thinktanks Agora Energiewende. Dieser wachsende Teil der Wirtschaft sucht dringend eine klimapolitikfähige Regierung und findet sie nicht, wenn er mit der Union spricht. Nun ist natürlich die andere Frage, ob sie das bei den Grünen finden, was sie suchen. Das reicht von genügend erneuerbarer Energie über innovationsfördernde Infrastruktur bis zu bezahlbaren Kosten für die Transformation und die künftige Produktion.
Vorurteile der Wirtschaftsmacher gegen Grüne
Was die Grünen angeht, so pflegen manche Wirtschaftsmacher weiter das alte Vorurteil, dass sie eher verhindern wollen als ermöglichen. Dass sie sich etwa nicht wirklich dafür interessieren, wie viel Kilowattstunden ein Elektromotor verbraucht und wie schnell er geladen werden kann. Dass sie keinen Tech-Diskurs führen wollen oder können, weshalb der Techie sich da auch nicht angesprochen fühlt. Den Klimaprogrammen der Grünen fehle die Konkretion, sagt Philipp Schröder. Vor allem fehle den Grünen die »Can do Mentality«.
Also das, was er hat.
Konkurrenz für die Grünen ist zwingend nötig und könnte dann fruchtbar werden, wenn es tatsächlich gelänge, die Klimafrage von einer Kultur- und Haltungsfrage zu einem wirtschaftspolitischen und ordnungspolitischen Wettbewerb der gesamten Gesellschaft und ihrer politischen Repräsentanten zu machen. Nicht das weitgehend folgenlose Bekenntnis zu 1,5 Grad in den Vordergrund zu stellen, sondern die Programme der praktischen Umsetzung in den entscheidenden Bereichen. Die Grünen glauben ja auch deshalb, als Einzige den Weg zu kennen, weil die anderen gar keinen gesucht haben. Und diejenigen, die eine Eindämmung der Erderhitzung umtrieb, landeten mehr oder weniger automatisch bei den Grünen.
Das ist der Grund für die alte Verengung der Diskussion, und das ist vorbei. Beziehungsweise nicht ganz, es werden Nachhutgefechte geführt. So berichtete etwa Klimaaktivist Heinrich Strößenreuther, dass alte Gefolgsleute teilweise sehr bissig auf seinen Eintritt in die CDU reagierten. »Kaum retweete ich etwas aus der CDU, geht es in die Hunderte von Followern, die verloren gehen«, sagte er kurz nach der Vereinsgründung der taz. Offenbar kommen sie nicht klar mit dem Verlust der gefühlten Einheit von Politikfeld Klima und linksgrüner Zuständigkeit, weshalb sie Strößenreuther nun das aufrechte Engagement absprechen wollen oder gar die Berechtigung dazu. Während die Spitzenpolitiker der Grünen dieses bipolare Denken eindeutig überwunden haben, kann man sich in den Reihen dahinter nicht sicher sein. Auf der anderen Seite reagiert halt auch der Ex-Tesla-Chef Schröder sehr aggressiv auf jene Grünen-Milieus, zu denen er einst gehörte.
Das EU-Klimaschutzgesetz ist eine historische Zäsur
Aber gerade Klimapolitiker und Klimaaktivistinnen müssten den guten alten Kulturkampf eigentlich vermeiden wollen, denn er ist nur im Interesse der verbliebenen Blockierer.
In diesem Zusammenhang ist das neue EU-Klimaschutzgesetz eine historische Zäsur. Ja, es ist noch zu langsam, weshalb die Klimapolitikaktivistin Luisa Neubauer es allerstrengstens geißelt. Aber es ist eben nicht die Fortsetzung des fossilen Regimes, sondern durch das rechtlich festgeschriebene Ziel der Klimaneutralität der Bruch damit. Und mit dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat dieser Bruch auch plötzlich juristisch Unterstützung bekommen: Die vor Gericht unterlegene Bundesregierung lobt seither die eigene Niederlage, CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet und CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier freuen sich, dass die eigene Politik nicht den Ansprüchen an intergenerationelle Gerechtigkeit entspricht. So grotesk das ist, es zeigt, dass die Partei des Abwartens zwar auf die höheren Weihen aus Karlsruhe gewartet hat, aber jetzt auch nicht mehr zurück kann.
Und während Deutschland und die EU gerade noch Pioniere waren, sind sie heute Mainstream, weil die USA, die Chinesen und andere große Wirtschaftsblöcke den Pfadwechsel ebenfalls vollziehen. Die postfossile Welt hat begonnen, und damit beginnt ein neuer Wettbewerb. Selbstverständlich werden alte Industrien ohne Perspektive alles tun, um noch möglichst lange mit dem Alten Geld zu verdienen. Und auch Umbruchswillige brauchen das Geld aus dem Verkauf alter Produkte für die Transformation zum neuen Geschäftsmodell. Aber die Würfel sind gefallen, wie CSU-Chef Markus Söder ja neuerdings gern sagt. Es geht nicht mehr um Fragen des persönlichen Verzichts oder Beschimpfungen von Boomern oder SUV-Fahrerinnen, es geht darum, dass Parteien eine funktionierende Wirtschaft mit einem CO2-Preis von, sagen wir, 130 Euro pro Tonne beschreiben und hinkriegen müssen. Denn mit dem 55-Prozent-Reduktionsziel bis 2030 im EU-Klimagesetz könnte sich der europäische Emissionshandel in diesem Jahrzehnt auf diesen Preis hochschrauben.
Neue Klima- und Wirtschaftspolitik wird zu Maß und Mitte
Das alles heißt nicht, dass die Union am Ende nicht doch – aus purer Verzweiflung – einen Wahlkampf gegen die Grünen probieren könnte, indem sie sich als Vertreter von Maß und Mitte gegen einen angeblichen Radikalismus positioniert, der die deutsche Wirtschaft zerstören will. Es wird halt nur immer unwahrscheinlicher, damit durchzukommen, wenn die rechtlich verbindlichen Vorgaben eben nicht von Ökoradikalinskis kommen, sondern von Ursula von der Leyen (CDU) und dem Bundesverfassungsgericht. Denn dadurch wird eine neue Klima- und Wirtschaftspolitik zu Maß und Mitte. Jetzt wird von links gern flammend gesagt, dass das alles »nur ohne CDU« gehen kann. Aber faktisch ist die Union traditionell lieber dabei als draußen vor der Tür wie die Linken.
Außerdem wird es angesichts des notwendigen Primats einer europäischen Klimapolitik und der demokratischen Mehrheitsverhältnisse kurz- und auch mittelfristig kaum ohne die konservative europäische Parteienfamilie gehen.
Das alles heißt, dass sich auch der Classic-Öko, die Classic-Grüne und die Klimaktivistin neu orientieren müssen, denn ihnen ist ihr »Alleinstellungsmerkmal« entrissen. Öko ist von einem moralischen Randgebet zur Geschäftsgrundlage der progressiven Teile der Weltgesellschaft transformiert. Das alte Denken, nachdem jemand, der sich dafür engagiert, Teil einer Grünen Minderheit oder im Widerstand sein müsse, ist obsolet. Nicht nur die KlimaUnion oder ein versprengter FDP-Politiker wie Lukas Köhler oder eine »grüne« Unternehmerin; viele sind künftig Ökos, viele verschiedene – und damit ist es endgültig keine identitäre Kategorie der Abgrenzung mehr, sondern produktiv zu machende Vielfalt.
Das ist ein wegweisender emanzipatorischer Fortschritt, der direkten Einfluss auf unsere physikalische Realität nimmt.
Peter Unfried ist Chefredakteur der taz FUTURZWEI.
Dieser Beitrag ist in taz FUTURZWEI N°17 erschienen.