CDU und Atomausstieg: Der Aufstand der Ingenieure
Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) will den Mittelbau seiner Partei davon überzeugen, wie toll der Atomausstieg ist. Das mag ihm nicht so recht gelingen.
BERLIN taz | Norbert Röttgen steuert forsch auf das Konrad-Adenauer-Haus zu. Dort soll er CDU-Funktionäre vom schnellen Atomausstieg überzeugen. Röttgen hat es eilig. Seit dem Atommoratorium sieht man ihn oft im Laufschritt. Diese Eile ist ein Zeichen: Es ist viel zu tun. Und: Er, der Schnelle, der fix im Kopf ist, ist genau der Richtige für diesen Job. Vor der CDU-Zentrale haben sich eine Handvoll Anti-AKW-Aktivisten postiert. "Abschalten" steht auf ihren Transparenten. Ein, zwei haben Trillerpfeifen dabei. Sie stehen hinter Absperrgittern, die Polizei hält Sicherheitsabstand für nötig. Das verleiht ihrem bescheidenen Auftritt etwas Bedeutendes.
Röttgen biegt schneidig zu dem Häuflein AKW-Gegner ab. Ein Sprecher rattert die Forderungen herunter: schneller Atomausstieg, mehr Geld für die energetische Gebäudesanierung, die Schwarz-Gelb radikal gekürzt hat. Der Minister lächelt und nickt. Er fixiert sein Gegenüber. Das signalisiert Aufmerksamkeit, bei Röttgen aber auch immer Entschlossenheit. Er werde diese Botschaft mitnehmen, sagt er und eilt, forsch wie immer, zum Treffen mit der CDU-Basis, die noch bekehrt werden muss.
Ungefähr 300 CDU-Funktionäre sind gekommen, Kreisvorsitzende, Geschäftsführer, Landtagabgeordnete aus Sachsen, Hessen, Brandenburg, Baden-Württemberg. Sehr viele Männer, viele fünfzig plus. Vorne sitzen Hermann Gröhe, der Generalsekretär, der immer etwas derb wirkt, und Roland Pofalla, Kanzleramtsminister, der die Vokale dehnt, bis sie scheinbar ausleiern. Die beiden sind die Sidekicks, der Star ist der Minister. Röttgen zieht eine Linie von Tschernobyl nach Fukushima und sagt, dass an beiden Orten "noch nicht mal alle Opfer der Katastrophe geboren sind". Man müsse, ruft er energisch, "die Energiewende zu einem christdemokratischen Projekt machen". Wachstum ohne Ressourcenverbrauch muss zur "Vision der Christdemokraten" werden. Die Aktivisten mit den Trillerpfeifen würden das anders sagen. Aber im Grundsatz wären sie mit den Worten des Umweltministers einverstanden.
Die CDU-Funktionäre sind nicht einverstanden. In diesem Saal sitzen eher Leute, die es mit Helmut Schmidt halten: Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen. Sie applaudieren Röttgen, aber nur, wenn der pflichtschuldig auf die Grünen schimpft. Die Debatte dauert drei Stunden. Jeder zweite CDUler, der redet, erwähnt, dass er Ingenieur ist.
Den meisten missfällt genau das, was Norbert Röttgen mit jeder Faser symbolisiert: das Tempo des Ausstiegs. Die Wende sei zu hektisch, man wisse ja noch nicht mal, wie teuer der Strom nach der Ökorevolution werde. Überhaupt sei die CDU immer die Partei des Fortschritts gewesen, warum denn jetzt diese irrationale Angst? Ein sächsischer Landtagabgeordneter sagt: "Wir können der Basis diesen Schwenk nicht vermitteln."
Der Ton ist höflich, man ist immerhin eine bürgerliche Partei. Aber die Ablehnung ist fundamental. "Wenn man den Seehofer hört", sagt einer, "denkt man ja: Der ist bei den Grünen." Das ist ein Kernproblem: Vor ein paar Monaten waren die Grünen der verspottete Hauptgegner. Und jetzt soll man so reden wie die?
Das verstehen die Ingenieure nicht. Ein Baden-Württemberger sagt: Die Partei kann die Physik nicht ignorieren. Und spricht aus, was viele denken: Der schnelle Ausstieg ist längst beschlossen, dieser Termin dient nur dazu, Dampf abzulassen. Mit Letzterem hat er wohl auch recht.
Röttgen hört sich die Kritik konzentriert an. Von Hektik, sagt er am Ende, könne keine Rede sein. Man dürfe beim Ökoumbau nicht warten, sonst "werden SPD und Grüne das erledigen". Auch 80 Prozent der CDU-Wähler seien gegen Atomkraft. Wer nicht handele, kapsele sich "von der Grundstimmung in der Bevölkerung ab".
Röttgen wirkt auch nach drei Stunden wach, präsent, energisch. Eleganter Anzug, elegante Rhetorik. Dann muss er ganz schnell weg, keine Zeit mehr für Nachfragen. Natürlich ist er gescheiter als die anderen. Und er weiß es.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!