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Buon Natale mit Tränen

Die meisten Familien Italiens müssen zu Weihnachten sparen, da Steuern und Schulden auf ihnen lasten. Das Zwölf-Gänge-Menü allerdings bleibt – zu Hause serviert  ■ Aus Terracina Werner Raith

Romolo Proietti (47), Angestellter beim eben privatisierten Elektrokonzern ENEL, hat die Wunschliste seiner Lieben dieses Jahr „um gut ein Drittel“ kürzen müssen. Elio Bressan (56), Frührentner, wird seinen drei Kindern dieses Jahr zwar „nicht weniger als früher“ unter den Baum legen, „aber mit mehr Umsicht und unter Ausnutzung aller Preisvorteile“ zusammengekauft. Nur Bruno Nardoni (37), Autohändler, kann dieses Jahr zulegen: Der Verkauf von Kraftwagen hat dank staatlicher Zuschüsse – wer sein altes Modell verschrotten läßt, kriegt bis zu 3.000 Mark zum Neuen dazu – um gut 15 Prozent zugelegt, und so ist trotz des harten Preiskampfes auch für ihn mehr übriggeblieben als früher. Er gehört allerdings zu den Ausnahmen in Italien.

Zu 75 Prozent, hat das Sozialforschungsinstitut Censis herausgefunden, schnüren die Italiener zu Weihnachten 1997 den Gürtel enger. Zwar bekommen nahezu alle Angestellten und die Beamten ein 13. Monatsgehalt, in manchen Sparten gar noch ein 14. – doch das geht heuer nahezu völlig zum Abzahlen von Steuern oder den Ratenkauf und Hypothekentilgungen drauf. Noch 1995 waren maximal 60 Prozent, 1996 dann 65 Prozent in solche Töpfe des Nimmerwiedersehens geflossen. Vor allem die Europasteuer hatte dieses Jahr zugeschlagen, aber auch eine Reihe weiterer Umlagen wie die Gesundheitsabgabe und eine neue Haus- und Grundsteuer. Die Geschenke zielen daher immer mehr aufs Nützliche – Kleidung, Ausrüstung für den Beruf, Computer für die Schule. Auch auf dem Spielzeugmarkt zeigt sich Anpassung: Statt der unzähligen elektronischen Autos, Roboter und Spiele sind wieder Bauklötzchen und einfache Puppen gefragt.

Auf eines wollen 93 Prozent der Familien aber nicht verzichten: aufs Weihnachtsmahl. Da wird zuallerletzt gespart, hat Censis erkannt. Ein gestandenes Heiligabendessen, genannt „Cena di magro“ (was zwar „mager“ bedeutet, aber alles andere als mager ist, wenn auch auf reiner Fischbasis) besteht aus zwölf Gängen: angefangen vom Antipasto di mare (Muscheln, Krabben, Tintenfisch) über Spaghetti alle vongole (weiße Muscheln) über Stockfisch in mindestens drei Versionen, panierten Kürbissen und Zucchini bis zum „Panettone“, dem famosen Weihnachtskuchen, kommt alles auf den Tisch, was gut und teuer ist: Pro Kopf, so Censis, kostet das auch zu Hause nicht unter 20 Mark pro Person, im Gasthaus das Dreifache. Getrunken wird allerdings wie immer der Hauswein. An den Feiertagen selbst gibt es nach Wurst- und Schinkenvoressen Lasagne oder andere im Rohr gebackene Nudeln, danach Kitzbraten oder Truthahn und schließlich Mandelkuchen. Kosten auch hier nicht unter 20 Mark pro Person, im Gasthaus an die 70 Mark. Dennoch wird das Ganze von der „Veglione“ zu Silvester übertroffen, unter 80 Mark kriegt man da keinen Platz selbst in einfachen Lokalen. Da allerdings, so Censis, sparen die Italiener seit etwa drei Jahren und veranstalten die Neujahrsparty zu Hause.

Was übrigbleibt, muß bei 12,6 Prozent Arbeitslosenquote und Steuern von gut 67 Prozent der Einkommen von vielen Familien immer noch hart verdient werden. Romolo Proietti, der ENEL-Angestellte, hat deshalb das Dreifache vom Vorjahr an Überstunden eingelegt, Elio Bressan zur Rente schwarz in einem Stall durch Ausmisten dazuverdient. Um 20 Prozent sind in den vergangenen Jahren die Anträge auf Überbrückungskredite, aber auch auf langfristige Darlehen gestiegen – der Großteil vor Weihnachten. Neuanschaffungen für den Haushalt bleiben eher aus – obwohl die Hersteller von Kühlschränken und Waschmaschinen der Autobranche nacheifern und bei Neukauf die Altmodelle zu ansehnlichen Preisen zurücknehmen. Einen Boom erleben lediglich die Motorroller, seit man für den Schrottzuckler noch 500 Mark bekommt. Dafür melden immer mehr Fahrradhersteller Konkurs an. Romolo Proietti und Elio Bressan haben daher auch nur einen wirklichen Weihnachtswunsch: Daß es endlich wieder ein wenig aufwärtsgeht.

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