■ Bundeswirtschaftsminister Möllemann hat alles geklärt: Demokratie mit Blankounterschrift
In der repräsentativen Demokratie sind die Minister und der Kanzler dem Parlament verantwortlich, die – theoretisch – neutrale Bürokratie steht den politisch Verantwortlichen als zuverlässiges Instrument ohne Eigenwillen zur Verfügung. Das ist zwar eine idealtypische Übertreibung. Aber im Prinzip sollte es ungefähr so sein.
Minister sind aufs Gemeinwohl verpflichtet. Daß sie daneben auch Privatinteressen haben, wird niemand leugnen, aber dise Privatinteressen dürfen nicht auf ihre Amtstätigkeit einwirken. Nichts Geringeres aber ist als Verdacht gegen den Bundeswirtschaftsminister Möllemann aufgetaucht. Zwei Briefe mit seiner Unterschrift sind als ausdrückliche Empfehlungen für ein Produkt seines Vetters an Kaufhäuser gegangen. Nun erklärt der Minister, man habe „die Angelegenheit im Ministerium geklärt“, ein Beamter habe Briefe mit seiner Blankounterschrift verwendet. Von dem Empfehlungsschreiben habe er jedoch erst durch den Bericht im Stern erfahren. Entweder ist das eine fragwürdige Schutzbehauptung, oder aber im Wirtschaftsministerium herrschen chaotische Zustände: da liegen offenbar Ministerbriefe mit Blankounterschrift zum gefälligen Gebrauch herum. Bisher ist noch nicht einmal bekannt, wie groß der Kreis der Mitarbeiter war oder ist, der Zugang zu nützlichen Briefen hat. Denkbar wäre zwar, daß der Minister die Wahrheit gesagt hat, jedoch zu erwähnen vergaß, daß er eine Anweisung gegeben hatte, Briefe mit seiner Blankounterschrift für den geplanten Zweck zu verwenden. Er hätte sich dann nach der alten jesuitischen Regel verhalten, nichts zu sagen, was nicht wahr ist, aber nicht unbedingt alles, was wahr ist, auch zu sagen.
In alten Zeiten hätte man gesagt: Entweder der Minister sagt nicht die ganze Wahrheit und muß deshalb zurücktreten, oder er hält sein Haus nicht in Ordnung und hat aus diesem Grund seinen Hut zu nehmen. Der politisch Verantwortliche muß in der Demokratie für seine Untergebenen geradestehen. Bei uns ist allerdings die Abwälzung der Verantwortung seit einiger Zeit üblich geworden. Beamte sind weisungsgebunden. Ihre politisch verantwortlichen Vorgesetzten müssen in der Demokratie für sie geradestehen. Das sollte auch in der Bundesrepublik nicht anders so sein. Iring Fetscher
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