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Der Kommentar

Bundestagswahl und Pandemie Populismus ist tödlich

Wer mit Corona Wahlkampf macht, der spielt mit dem Leben der Leute. Das gilt nicht nur für AfD, sondern auch für FDP, SPD und Ministerpräsidenten.

Foto: dpa

Von UDO KNAPP

Auf das Corona-Virus kann man sich verlassen. Zuverlässig gelingt es SARS-CoV-2 trotz Lockdown, Schulschließungen, Maskenpflichten und Kontaktbeschränkungen jeden Tag zwischen 20.000 und 30.000 Leute zu infizieren und über 1.000 von ihnen das Leben zu nehmen. Um seine Effektivität zu maximieren, mutiert SARS-CoV-2 derweil munter weiter.

Immerhin hat das Impfen begonnen, es gibt mittlerweile schon drei etwa wirkungsgleiche Impfstoffe. Die Entwicklung der Impfstoffe, ihre Produktion, die zu Recht europaweit ausgelegte Organisation ihres Verimpfens und das Abpuffern der sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, die weitgehend selbstorganisierte Stabilisierung des Gesundheitssystems zur medizinischen Versorgung der Infizierten, all das ist eine wissenschaftliche, eine organisatorische und logistische Bestleistung einer demokratisch sauber legitimierten und europaweit angeglichenen Anti-Corona-Politik der EU Kommission und der nationalen Regierungen der EU. Nicht zu vergessen, dass entgegen aller Unkerei die große Mehrheit der Bürger in der Bundesrepublik und den anderen EU Staaten diese Politik mitträgt.

SARS-CoV-2 trifft auf einen Bezwinger.

Der Kampf gegen Corona ist noch lange nicht gewonnen

Aber gewonnen ist dieser Kampf noch lange nicht. Im Gegenteil.

Mindestens ein Jahr wird es brauchen, bis die Durchimpfung von mindestens zwei Drittel aller Bundesbürger oder aller EU-Bürger erreicht sein kann. Erst dann kann eine Herdenimmunität entlasten. Erst dann werden verbindliche Aussagen zur Sterilität der Geimpften möglich. In 2021 und 2022 wird es vor diesem Hintergrund darauf ankommen, das Infektionsgeschehen so unter Kontrolle zu bringen, dass der Preis beherrschbar bleibt, den die gesamte Gesellschaft für das Bezwingen von SARS-CoV-2 bezahlen muss. Für einen Erfolg gegen SARS-CoV-2 wird das Vertrauen großer Mehrheiten in die Regierungskraft gebraucht und die Bereitschaft, sich ins nervende Lockdown-Regime zu fügen. Das ist eine gewaltige Zumutung.

In einem Jahr mit fünf Landtagswahlen und der Bundestagswahl ist das noch mal schwieriger. Die Parteien und die gesamte politische Öffentlichkeit sind in dieser Ausnahmesituation gefordert, die Regierenden dabei zu unterstützen, auch harte Einschränkungen des Alltagslebens im Kampf mit SARS-CoV-2 durchzusetzen. Keine einfache Herausforderung. Aber so könnte das Vertrauen aller Bürger in die demokratischen Institutionen gestärkt und die demokratische Substanz der Bundesrepublik auch in der Pandemie befestigt werden.

Populisten nutzen die Pandemie für ihre Zwecke

Von einer solchen Haltung sind Teile der politischen Öffentlichkeit und Parteien sowie viele Meinungsmacher in den Medien indes weit entfernt. Es erstaunt, dass es AfD, Reichsbürgern, Rechtsradikalen, Impfgegnern, esoterischen Verschwörern und anderen mit Elitenhass und dem Denunzieren begründeter Einschränkungen als „Corona-Diktatur“ gelingt, Teile der politischen Öffentlichkeit vor sich her zu treiben.

Da sind die Ministerpräsidenten der Länder, von denen manche den Föderalismus zur politischen Selbstinszenierung missbrauchen, anstatt konsequent mit der Bundesregierung ein einheitliches Anti-Pandemie-Vorgehen durchzusetzen. Stattdessen betreiben Länderchefs ein Hin und Her von Lockerungen und Verschärfungen des Lockdowns. In Sachsen, z.B., bezahlen viele Covid-Erkrankte dieses Verhalten ihres Ministerpräsidenten mit ihrem Leben.

Da wird in vielen Bundesländern von den Parteien an der Mär von ihren angeblich verselbständigten Landesregierungen gestrickt. So wurde in der letzten Woche im Berliner Abgeordnetenhaus mit einem Covid-Parlamentsbeteiligungsgesetz dem Senat zusätzliche Beratungspflichten mit dem Parlament aufgezwungen. Sollen etwa Impfpläne oder Standorte von Impfzentren in Parlamentsdebatten festgelegt werden? Das Parlament ist nicht für die Exekutive zuständig.

Ein Freiheitsbegriff, der Demokratiefeinden Echoraum verschafft

Da pflegt die FDP mit ihren Warnungen vor Freiheitsberaubungen durch die Coronapolitik der Regierung einen Freiheitsbegriff, der auf jede solidarische Bindung an die Probleme der von der Pandemie unmittelbar Betroffenen verzichtet und stattdessen den Demokratiefeinden Echoraum verschafft.

Da steigt die SPD, die im Covid-Krisenkabinett bisher erfolgreich jede Entscheidung der Bundesregierung mitgetragen hat, in der letzten Woche gegen den Gesundheitsminister in die Bütt. Sie erweckt mit einem Zweifel säenden Fragenkatalog den Eindruck, Jens Spahn habe beim Kauf der Impfstoffe und deren europaweiter Verteilung in Brüssel nicht entschieden genug bundesdeutsche Interessen vertreten. Deshalb fehle es jetzt an ausreichend Impfstoff für die Bürger.

Da erhebt sich auf Ministerpräsident Söders berechtigte Forderung nach einer Impfpflicht für alle pflegerelevanten Beschäftigten von allen Seiten ein empörtes Freiheitsberaubungs-Geschrei. Dabei wird ignoriert, dass die Impfverweigerung so vieler Pflegeberufler die Versorgungssicherheit im Gesundheitssystem gefährdet.

Einen Ausnahmezustand will außer Rechtsextremisten niemand

Da verunsichern die Medien viele Bürger dadurch, dass sie den Corona-Besserwissern aus der Wissenschaft, etwa dem Virologen Streeck, oder aus der Politik, etwa dem Tübinger Oberbürgermeister Palmer, breiten Resonanzraum einräumen. In einer solchen politischen Großlage unvermeidbare Organisationsversagen werden skandalisiert und damit wird konsequentes Handeln der Regierenden delegitimiert.

Damit kein Missverständnis entsteht: Hier geht es nicht darum, einem Corona-Ausnahmezustand mit unkontrollierten Handlungsrechten für die Regierenden das Wort zu reden. Einen willkürlich herbei geführten Ausnahmezustand will jenseits von AfD und ihren Followern niemand. Im Kampf mit SARS-CoV-2 geht es darum, der Regierung und allen Verantwortlichen alle Möglichkeiten an die Hand zu geben, den Kampf mit dem Virus mit den ihnen legal zustehenden Herrschaftsmitteln zu gewinnen.

Die Grüne Bundestagsfraktion hat in der letzten Parlamentswoche mit sachlich gut begründeter Kritik an Minister Spahns Politik vorgeführt, wie Opposition in einer gesellschaftlichen Großkrise funktionieren kann. Die Kritik der SPD-Führung, die Grünen wollten sich doch mit devoter Haltung gegenüber Spahn bloß bei der CDU als zukünftigem Regierungspartner anbiedern, zeigt nur deren eigene Verzweiflung über ihren politischen Bedeutungsverlust. Wer mit Corona Wahlkampf machen will, der spielt mit dem Leben und dem Sterben der Leute. Zustimmung lässt sich auf solch einem populistischen Kurs hoffentlich nicht gewinnen.

UDO KNAPP ist Politologe.